Sorgten für eine spannende Diskussion über Crowdfunding und Journalismus: Alexander von Streit (links) und Ulf J. Froitzheim
Foto: Cornelia Bruckner

Bezirksverband München-Oberbayern

Crowdfunding: Neue Wege für den Journalismus

Krautreporter-Chefredakteur Alexander von Streit diskutiert über sein Projekt

München, 25.07.2014

An einem Freitag den 13. erlebten einige Journalisten den wohl glücklichsten Tag in ihrem Berufsleben. Die Crowdfunding-Kampagne der Krautreporter erreichte am 13.6. gegen Mittag ihr Ziel: 900.000 Euro Starthilfe für ein onlinejournalistisches Magazin, das sich ohne Werbung finanzieren möchte. Ein Autorenkollektiv von 25 Journalistinnen und Journalisten aus Deutschland buhlte seit Mitte Mai um die finanzielle Unterstützung durch mindestens 15.000 Leser, jeder Interessierte konnte sich mit einem Beitrag von 60 Euro als Unterstützer registrieren.

Zwei Tage vor dem Ende der Kampagne waren gerade mal zwei Drittel der erforderlichen Summe gesichert – das Projekt wäre damit gescheitert. An jenem Freitag waren es dann am Abend aber insgesamt 17.585 Unterstützer. Menschen, die bereit waren, für das Versprechen von den Krautreportern einen besseren Online-Journalismus zu bekommen, den geforderten Obulus zu entrichten.

Anfang Oktober soll das Magazin starten, frei zugänglich für jeden Internet-Nutzer. Vorteil für die zahlenden Nutzer: Sie dürfen bei dem neuen Magazin kommentieren und erhalten dann und wann auch Extras wie etwa zusätzliche Informationen. Doch vor dem Start gibt es neben Skepsis auch noch einige offene Fragen.

Einige davon beantwortete der Krautreporter-Chefredakteur Alexander von Streit im Münchner Presseclub. Auf Einladung des Bezirksverbands München-Oberbayern diskutierte der Münchner Journalist mit Ulf J. Froitzheim als Moderator und interessierten KollegInnen unter dem Titel „Crowdfunding – Perspektive für den Online-Journalismus?“. Wie man überhaupt auf die Idee gekommen sei, so etwas zu machen, möchte Froitzheim wissen – von Streit fragt darauf vorausschauend ins Publikum: „Weiß denn jeder hier, was Crowdfunding ist?“ Einige deuten an, dass sie es doch gerne von dem Experten erklärt haben möchten.

Die Masse macht‘s möglich
Crowdfunding sei eine neue Spielart wie sich Projekte finanzieren lassen, erläutert von Streit, die Masse von Unterstützern ermögliche das Realisieren von Ideen. Das könnten beispielsweise auch Produkte wie eine Kamera sein, aber eben auch nichtmaterielle Dinge wie etwa journalistische Recherchen. Ebensolche Finanzierungen, bei denen möglichst viele Menschen ein Projekt unterstützen, realisierte bis zum Frühjahr der Berliner Sebastian Esser über seine 2012 gegründete Crowdfunding-Plattform Krautreporter. Dort warben bis zum Frühjahr JournalistInnen um finanzielle Unterstützung für ihre Recherchen oder Medienprojekte. Einigen gelang es auch, genügend Aufmerksamkeit und vor allem Zahlungswillen beim Publikum zu erzeugen.

„Extrem waghalsig für mich“
Im August 2013 rief eben jener Sebastian Esser bei Alexander von Streit an. Von Streit hatte zuvor seine Mitarbeit als freier Chefredakteur für die deutsche Ausgabe des bei Condé Nast erscheinenden US-amerikanischen Technologie-Magazins Wired beendet. Esser erzählte ihm vom erfolgreichen Crowdfunding des niederländischen Magazin De Correspondent (Link auf die englischsprachige Version). Die Niederländer hatten im Frühjahr 2013 binnen acht Tagen 17.000 Abonnenten gefunden, die bereit waren, 60 Euro vorzuschießen. „Esser fragte mich, ob ich Lust hätte, etwas Ähnliches zu machen“, berichtet von Streit. Der Münchner sagte zu, „es war extrem waghalsig für mich“, er habe sogar einige andere Jobangebote abgelehnt.

Einig waren sich beide darüber, dass im deutschen Online-Journalismus etwas schief läuft und das man eine Alternative zum werbefinanzierten Netzjournalismus etablieren müsse. In der im Mai gestarteten Kampagne mündete dies in der These: „Der Online-Journalismus ist kaputt“. Diese Behauptung brachte den Projektbeteiligten viel verbale Prügel ein, sagt von Streit. Überhaupt sei man immer wieder scharf kritisiert worden, merkt der Journalist an, und freilich habe man auch einige Fehler gemacht: „Wir waren mit der Kampagne überfordert“.

Schneller, überhitzter Online-Journalismus
Und der vermeintlich „kaputte Online-Journalismus“ (von dem auf der Krautreporter-Website immer noch die Rede ist) – was hat es mit dem auf sich? Von Streit kennt den Online-Journalismus aus der eigenen Arbeit und als Leser sehr gut. Fünf Jahre lang habe er bei Focus Online News gemacht. Die meisten Online-Angebote seien werbefinanziert, dabei bestünde aber nicht die Gefahr der Abhängigkeit von einzelnen Werbekunden, es gehe vielmehr um Reichweite, um Quoten.

„Das ist ein legitimes Geschäftsmodell“, erklärt von Streit, „aber es verändert die Art, wie Journalismus gemacht wird“. Denn es entstehe ein immer schnellerer, überhitzter Online-Journalismus. Manchmal sei dieser sogar „abartig“. Der umstrittene Schumacher-Liveticker sei zwar „wahnsinnig erfolgreich“, sagt von Streit, und vielleicht habe man damit sogar ökonomisch recht. Sein Ding seien solche „Erfolge“ jedoch nicht. Darin war sich von Streit mit Esser einig, als dritter Mitstreiter kam noch Philipp Schwörbel hinzu, der Gründer und Herausgeber der Prenzlauer Berg Nachrichten.

Lasst uns doch ein werbefreies, nur durch Nutzer finanziertes Online-Angebot machen, lautete der Plan des Trios. „Journalismus, der tiefgründiger und ein bisschen ausgeruhter ist“, spezifiziert von Streit das Vorhaben. Und es fanden sich einige – nicht nur im Internet – bekannte Mitstreiter für diese Idee: Stefan Niggemeier, Jens Weinreich, Richard Gutjahr … Derzeit sind rund 25 Kolleginnen dabei, darunter allerdings nur vier, fünf Frauen.

Selbstausbeutung?
Jeder Autor soll rund vier bis fünf Texte im Monat liefern und soll dafür eine Pauschale von 2500 Euro erhalten. „Aus Online-Sicht sind rund 500 Euro pro Beitrag viel Geld“, sagt Chefredakteur von Streit, andere Online-Medien würden maximal 180 Euro bezahlen. Moderator Froitzheim fühlt sich indes an „ein Selbstausbeutungsprojekt wie die taz“ erinnert: „Unterm Strich bleiben da doch nur 1600 Euro übrig“, moniert der Wirtschaftsjournalist.

Von Streit hält den Vergleich mit der taz nicht für fair, schließlich arbeiten die Autoren, die ja obendrein zumeist recht gut im Geschäft seien, noch für andere Auftraggeber. Er stellt klar: „In der besten aller Welten wären die alle natürlich bei uns festangestellt“ und „Wir werden aber auch Wege finden, aufwändigere Recherchevorhaben zu finanzieren“.

Autorenjournalismus
Charakteristisch für das Projekt Krautreporter ist es, dass hier Kolleginnen und Kollegen arbeiten, die vielleicht nicht immer in herkömmliche Redaktionsstrukturen passen. Froitzheim nennt sie – im positiven Sinne – „Outlaws“. Manchmal bedienen sie vor allem Nischenthemen wie etwa Thomas Wiegold, der sich auf Verteidigungs- und Sicherheitspolitik spezialisiert hat oder eben Jens Weinreich, der sich dem Thema Sport und Politik auf seine eigene Weise widmet.

„Wir werden Qualität liefern“, verspricht von Streit, vor allem die Autoren sollen dafür bürgen, sie sollen „präsent“ sein; Meinungsbeiträge soll es eher nicht geben. Für die Nutzer, die 60 Euro einbezahlt haben, soll es neben der Kommentierungsmöglichkeit exklusives „Ergänzungsmaterial“ geben, eine Art „Director’s Cut“. Ferner soll es Veranstaltungen geben, bei denen man sich mit den Unterstützern treffe, sagt von Streit.

„Wir beziehen diese Leute ein, aber sie werden inhaltlich nicht mitbestimmen“, schränkt er ein. Täglich sollen vier Geschichten erscheinen, die nicht nur textbasiert sein sollen: „Wir bieten eben auch Inhalte an, die nicht gut vermarktbar sind – wie etwa Audioslideshows und Bewegtbild“, kündigt von Streit an.

„Es soll, es wird …“
Derzeit müssen von Streit und seine KollegInnen noch „Ankündigungsjournalismus“ betreiben – vieles ist noch im Konjunktiv, die Erwartungen der zahlenden Unterstützer aber auch anderer Beobachter an das Projekt sind hoch. Von Streit spricht von „einem wahnsinnigen Druck unter dem wir uns befinden“. Im Hintergrund muss derweil die Infrastruktur aufgebaut werden: natürlich als erstes die Website, Büroräume in Berlin müssen angemietet werden, die GmbH soll in eine Genossenschaft übergeführt werden, man hole sich hierfür Rat bei der taz-Genossenschaft.

Und schließlich muss das Projekt auch überzeugen, um einen stetigen Geldfluß für diese Art von Journalismus zu gewährleisten; von Streit weiß, dass es auch „eine Phase der Ernüchterung“ bei Machern und Unterstützern geben wird. Dennoch ist er überzeugt: „Ich bin mir sicher, dass wir es hinkriegen“.

Wie kann es Journalisten, die vielleicht nur als Einzelner agieren, gelingen, ein Crowdfunding-Projekt zu stemmen, möchte das Publikum von dem Krautreporter-Journalisten wissen: „Man muss als Person voll dahinter stehen und sein Anliegen sehr gut kommunizieren“, rät von Streit; während einer vierwöchigen Kampagne müsse man die Arbeit an anderen Projekten fast vollständig ruhen lassen.

Journalismus bereichert
Ob Crowdfunding-Kampagnen letztlich die Zielgruppen nicht ermüden, wie es etwa kürzlich der Karikaturist Bulo in einem journalist-Cartoon darstellte? „Nein“, meint von Streit, ganz im Gegenteil, man habe vielmehr verständlich gemacht, welche neuen Finanzierungswege für den Journalismus möglich seien und welche große Nachfrage für andere Formen des Journalismus bestehe.

Alexander von Streit gelang es an diesem Abend nicht nur kritische Sympathisanten zu überzeugen, sondern er weckte auch großes Interesse bei KollegInnen, die sich noch nicht mit diesen neuen Formen der Finanzierung des Journalismus beschäftigt haben.

Entscheidend wird freilich sein, was sich ab Oktober auf der Website www.krautreporter.de abspielen wird. Dort soll übrigens dann – neben dem Magazin – auch die bewährte Crowdfunding-Plattform für journalistische Projekte weiterlaufen. So viel Lorbeeren dürfen jetzt schon verteilt werden: Von Streit und seine KollegInnen haben – egal wie ihr Projekt ausgehen wird – den deutschen Journalismus um neue Ideen bereichert.

Thomas Mrazek

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