Diskutierten über Flüchtlinge in den Medien (von links nach rechts): Jan Bielicki, Hilde Stadler, Ingvild Geyer-Stadie, Thomas Morawski und Eshan Mehrabi
Foto: Maria Goblirsch

BJV-Geschäftsstelle und Rechtsanwaltskammer München

Schönfärberei oder Stimmungsmache?

Flüchtlinge als Objekte der Medien – Podiumsdiskussion im Münchner PresseClub

München, 18.11.2015

„Ich verstehe, dass die Medien über die aktuelle Flüchtlingskrise berichten müssen, da sie die deutsche Bevölkerung betrifft. Aber vielleicht ist es auch die Aufgabe der Medien, über die Missstände in den Heimatländern der Flüchtlinge zu berichten? Wäre das vorher regelmäßig passiert, wäre die Überraschung über den Flüchtlingsstrom nicht so groß gewesen“, sagte Ehsan Mehrabi, Journalist aus dem Iran, bei einer Podiumsdiskussion im Münchner PresseClub.

Haben wir als Medienmacher zum vermeintlichen Überraschungseffekt beigetragen, indem wir das Entstehen der Krise falsch bewertet haben? Was ist dran am Vorwurf der Stimmungsmache und Schönfärberei, der Journalisten derzeit gemacht wird? Antworten auf diese und andere Fragen suchte eine Expertenrunde am 16. November.

„Die Medien kennen nur noch das Thema Flüchtlinge“
„Die Zahl der Asylsuchenden ist im Vergleich zu den Vorjahren nicht wirklich gestiegen. Wir hatten schon höhere Zahlen. Ich sehe die Dramatik, die die Medien derzeit beim Thema Flüchtlinge spiegeln, überhaupt nicht“, stellte die Münchner Rechtsanwältin Ingvild Geyer-Stadie zu Beginn der Podiumsdiskussion klar. Die Berichterstattung über die Flüchtlinge sei zwar inhaltlich in Ordnung, aber in ihrer Quantität einfach zu umfangreich.

„Es nervt mich und sicher auch den Normalbürger, in allen Medien kein anderes Thema mehr zu sehen“, sagte die Spezialistin für Ausländer- und Asylrecht. Zunächst hätten in den Medien die positiven Bilder vom Münchner Hauptbahnhof und der Willkommenskultur überwogen, dann habe man nur noch über die „Flüchtlingskrise“ berichtet. Deshalb schlage auch die Stimmung in der Bevölkerung um. Insoweit sei diese vermeintliche Krise von Politik und Medien auch „hausgemacht“.

„Orbán sieht Horden aus Innerasien anstürmen“
Dem widersprach Jan Bielicki, Redakteur für Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung. Es seien schon „überraschend viele Leute unterwegs, das kann man nicht allein an der Zahl der Asylanträge festmachen“. Er sieht eine andere Gefahr in der Berichterstattung: Journalisten dürften sich nicht instrumentalisieren lassen.

„Viele der Flüchtlings-Bilder, die noch viel stärker wirken als das gesprochene oder das geschriebene Wort, sind zum Teil gemacht und gewollt“. Ihm könne keiner sagen, dass etwa „das Chaos an der ungarischen Grenze nicht von Viktor Orbán inszeniert wird, der da Horden aus Innerasien anstürmen sieht“. Dabei steckten Journalisten allerdings in der Zwickmühle, denn diese Szenen seien nun einmal da und es gebe auch den Auftrag zur Berichterstattung.

Diesen Zwiespalt kennt Hilde Stadler, Korrespondentin von BR- und ARD-Fernsehen, aus dem Berichtsalltag genau. Sie berichtete für den Sender unter anderem aus Lampedusa und von der Balkanroute und sagte: „Natürlich war da politisches Kalkül dahinter, man wollte das Chaos zeigen“. Das Fernsehen müsse solche Bilder senden. „Das Entscheidende ist, dass wir Journalisten diese Bilder einordnen, kommentieren und auch die Hintergründe aufzeigen.“

Zwei Drittel fühlen sich nur einseitig informiert
Die Auslandsreporterin berichtete im PresseClub von einer neuen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD), nach der sich nur ein Drittel der Bevölkerung sich in der Flüchtlings-Thematik von den Medien ausgewogen informiert fühle. 43 Prozent hielten die Berichterstattung für zu einseitig durch eine politische Tabuisierung der Asylfrage.

Den öffentlich-rechtlichen Sendern würde in diesem Zusammenhang gerade der Vorwurf eines „Willkommensrundfunks“ gemacht, der nur Einzelschicksale positiv schildere, auf der anderen Seite aber die Asylprobleme im Abstrakten belasse. Das sei für Journalisten eine Gratwanderung. „Ich sehe es als Aufgabe der Medien, das ‚Wir schaffen das‘ kritisch zu hinterfragen und zu beleuchten, wie und zu welchen Kosten das alles zu schaffen ist. Ohne dass man sich vorwerfen lassen muss, man sei kaltherzig“, betonte Hilde Stadler.

Sollen die Medien mehr aus Krisenländern berichten?
Eine ausgeglichene und gute Berichterstattung über Flucht und Asyl müsse auch eine Erklärung der Ursachen, Analysen und aufklärende Informationen enthalten, fordert der Journalist Ehsan Mehrabi, der heute für den persischen Dienst der BBC arbeitet. Der gebürtige Iraner hatte 15 Jahre lang als Parlamentskorrespondent für renommierte Publikationen wie die Tageszeitung Etemade Melli unter anderem über die Proteste gegen das Ergebnis der umstrittenen Präsidentenwahl im Juni 2009 berichtet.

Nach Haft und Folter floh er in die Türkei, wo er zwei Jahre lang an der syrischen Grenze unter schwierigen Bedingungen auf den Abschluss seines Asylverfahrens beim UN-Flüchtlingshilfswerk wartete. Nachdem ihm die Bundesregierung aus humanitären Gründen die Aufnahme gewährte, lebt und arbeitet er seit 2013 als freier Journalist in Berlin.

Berichte können helfen
„Vielen Flüchtlingen kann die Berichterstattung über sie helfen, weil andere Menschen von ihrem Schicksal erfahren und sie nicht so isoliert sind“, sagt er. Was ihnen sicher nicht gefallen könne sei, dass „alle Flüchtlinge in einen Topf geworfen und als eine Art Opfervolk dargestellt werden“. Dabei werde vergessen, dass jeder eine eigene Geschichte und einen eigenen Bildungsstand habe und die Flüchtlinge aus unterschiedlichen Schichten stammten.

„Vielleicht würde es auch helfen, wenn die Medien nicht nur berichteten, sondern auch kritisch hinterfragten, warum bestimmte Dinge wie der Terrorismus seit Jahren nicht erfolgreich bekämpft werden können“, rät Ehsan Mehrabi. Den gesamten Kontext einzuschätzen und über lange Zeiträume hinweg aufzuklären sei genauso wichtig wie die aktuelle Berichterstattung.

Einen ausführlichen Bericht zur Podiumsdiskussion lesen Sie in der nächsten Ausgabe des BJVReport. Die Diskussion zum Thema „Flüchtlinge – Objekte der Medien?“ war die dritte Veranstaltung einer Reihe, die BJV und Rechtsanwaltskammer München gemeinsam ausrichten (vorige Veranstaltungen: Journalistenseminar, „Satire auf dem Prüfstand“ und „War der Ecclestone-Deal eine Frechheit?“). Sie spricht aktuelle juristische Fragen an, die auch Journalisten und Medien bewegen.

Maria Goblirsch

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