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Forum Lokaljournalismus: Die drohende Götterdämmerung blieb aus
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Wolfgang Grebenhof

Fachgruppe Tageszeitungen

#folo2014: Bemerkenswertes aus Bayreuth

Das 22. Forum Lokaljournalismus vermittelte allerhand Tipps und Ideen für unsere Arbeit

Bayreuth, 05.02.2014

Über allem wachte Richard Wagner. Die Plastikfigur des Künstlers Ottmar Hörl dirigierte mit großer Geste das 22. Forum Lokaljournalismus in Bayreuth. Doch seine Pose mit dem Blick ins Leere und den weit nach vorn gereckten Armen erinnert irgendwie ja auch an einen Schlafwandler. Ein Sinnbild für die Zeitungsbranche und ihre verzweifelte Suche nach Orientierung im Nebel des Wandels?

Erfindet sich der Lokaljournalismus neu?
Den Königsweg aus der Krise fanden die 180 Tagungsteilnehmer, überwiegend Chefredakteure und Ressortleiter, zwar nicht bei der vollmundig mit „Götterdämmerung – Der Lokaljournalismus erfindet sich neu“ überschriebenen Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Aber das eine oder andere Beispiel dafür, wohin die Reise gehen kann, entdeckten sie dann doch.

Das Ende der gedruckten Zeitung
Den Auftakt-Paukenschlag, der sein Echo als Schlagzeile in der Fachpresse fand, setzte Michael Rümmele, Geschäftsführer des gastgebenden Nordbayerischen Kurier mit seiner These, in 15 bis 20 Jahren werde es keine gedruckten Zeitungen mehr geben (siehe hierzu Kress„‚Kurier‘-Geschäftsführer Rümmele: ‚2034 erscheint letzte gedruckte Zeitung‘“). Nicht nur weil Rümmele schlüssige Belege für seine Prognose schuldig blieb, verhallte dieser ja nicht wirklich neue Unkenruf relativ ungehört.

Deutlich mehr diskutiert wurde über das, was Kurier-Chefredakteur Joachim Braun berichtete: Beispielsweise, dass sich sein Blatt von der Terminberichterstattung „weitgehend verabschiedet" habe, oder dass man inzwischen jede Woche vier oder fünf Aufmachergeschichten über Facebook bekomme. Nur mit Qualität, lautete Brauns Credo, könne man die Auflage stabilisieren.

Wie machen es die anderen Kollegen
Damit war die Agenda gesetzt für den mit Vorträgen, Podiums-Runden sowie Fachgesprächen in kleineren Zirkeln gespickten zweiten Veranstaltungstag: Sehen und hören, wie es die anderen machen im Spannungsfeld zwischen Print und Digital. Zum Beispiel Christian Stavik vom norwegischen Blatt Faedrelandsvenen, der sich intensiv mit der Frage beschäftigte, wie journalistische Inhalte bestmöglich auf dem Smartphone serviert werden können (siehe hierzu auch Meedia: „Paid Content: ‚Fehler muss man sterben lassen können‘“).

Ein Verleger, der verlegerisch denkt
Oder Jörg Jung, Chefredakteur der Böhme-Zeitung in Soltau, der aufhorchen ließ mit der Strategie, auch investigative Geschichten an freie Journalisten zu vergeben. 22,50 Euro zahle man pro Recherchestunde, zuzüglich Spesen und plus 74 Cent pro veröffentlichter Zeile. "Unser Verleger denkt in dieser Sache nicht kaufmännisch, sondern verlegerisch", erklärte Jung und berichtet von neu hinzu gewonnenen Freiräumen für die festangestellten Redakteure, etwa für die klassische Reportage.

Print-Ausgabe nur noch ein Derivat
Dass über kurz oder lang die Online-Zeitung den Ton angeben und die Printausgabe nur noch das Derivat sein wird, verdeutlichte Björn Schmidt, Geschäftsführer der zentralen Online-Redaktion DuMontNet in Köln. Er rief die Verlage dazu auf, Webanalysten einzustellen, um zu ermitteln, welches Angebot wie und wo Sinn habe. Gleichzeitig betonte er aber: „Wir sind nicht nur auf Klickzahlen aus.“ Die Zeitung der Zukunft müsse ein „Info-Broker für alle Nachrichten aus der Region“ sein und beispielsweise auch Blogs einbinden und verlinken.

„Nehmt die Technik wichtiger“
Den meistdiskutierten Beitrag der Tagung lieferte der Münchner Publizist und Medienberater Michael Praetorius mit seinem Vortrag über „nutzerzentrierten Journalismus auf allen Plattformen“ (Youtube-Video, 41:44 Min. von Inge Seibel-Müller). In einem atemberaubenden Parforceritt durch die digitale Welt eröffnete Praetorius den Teilnehmern Einblicke in für sie zum Teil noch sehr fremde Gefilde, in denen Algorithmen den Ton angeben und wo sich Katzen im Haifischkostüm auf Staubsaugerrobotern tummeln.

Redaktionen brauchen mehr kreativen Freiraum
Statt – wie heute noch vielfach praktiziert – Qualitätsjournalismus „lieblos auf Homepages zu klatschen“ müsse man „nutzerzentrierten Content“ liefern. Dazu brauche man möglichst detaillierte Daten seiner Leser. „Nehmen Sie die Technik wichtiger!“, riet Praetorius, der E-Commerce-Experten in den Verlagen für unverzichtbar hält: Von Zalando könne die Zeitungsbranche noch viel lernen. Doch auch für mehr kreativen Freiraum in den Redaktionen plädierte der quirlige „digital native“. Volontäre beispielsweise dürfe man nur zu 70 oder 80 Prozent auslasten. Im Rest der Zeit sollten sie Gelegenheit haben, eigene Projekte umzusetzen.

Datenjournalismus und „Visual Storytelling“
Wie sich Themen mit modernen Mitteln leserfreundlich aufbereiten lassen, erläuterten Philipp Ostrop (Leiter der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr-Nachrichten) und Bernhard Rentsch (Chefredakteur des Schweizer Bieler Tagblattes) in zwei viel beachteten Vorträgen über Datenjournalismus und „Visual Storytelling“ (siehe hierzu auch Newsroom.de: „Chefredaktor Bernhard Rentsch: ‚Für politische Debatten im Stadtparlament zahlt der politikaffine Leser‘“).

„Wenn es um die Frage geht, wer mehr Platz bekommt, entscheide ich mich im Zweifelsfall für die Grafik“, berichtete Rentsch: „Wir sind näher am Künstler als am Fabrikarbeiter.“ Als „Entwicklungsland“ bezeichnete Ostrop Deutschland in Sachen Datenfreigabe durch Behörden. Bisweilen müsse man Auskünfte mit Nachdruck einfordern und auch mal „mit dem Informationsfreiheitsgesetz wedeln“.

Zum Abschluss gab es dann noch einmal Nachdenkliches für die „Vordenker“ aus deutschsprachigen Zeitungshäusern: „Die Kernfrage ist nicht, wie lange es gedruckte Zeitungen geben wird. Es geht darum, gesellschaftspolitische Relevanz zu haben“, relativierte Prof. Dr. Klaus Meier von der Katholischen Universität Eichstätt die Eingangs-These des Kurier-Geschäftsführers.

„Bornierte Denke“ in den Verlagshäusern
Michael Rümmele ging mit seiner eigenen Zunft hart ins Gericht: In den Zeitungsverlagen herrsche eine „bornierte Denke“. Weil man dort lange Zeit schlechte Politik gemacht habe, „müssen wir jetzt sehen, wie wir uns über die nächsten zehn Jahre retten." Nur in wenigen Glücksfällen könnten Verleger „den Visionen ihres Chefredakteurs folgen“. Dabei gelte es, komplett umzudenken: „Wie gehen wir mit den Möglichkeiten um, die uns die neuen Medien bieten?“ Und: „Was interessiert die Menschen?“Doch auch dazu wieder ein Kontrapunkt: Larissa Bieler, Chefredakteurin des Bündner Tagblattes im schweizerischen Chur, warnte davor, die Prioritäten einzig nach der Lust der Leser zu setzen.

Dürre Worte aus der Politik
An spannendem Diskussionsstoff und an kreativen Ideen herrschte wahrlich kein Mangel bei der 22. Auflage des Forums Lokaljournalismus, das sich als „brainpool“ für die Zukunft der Zeitung versteht. Wenig Erhellendes boten allenfalls die beiden politischen Gastredner der Tagung. Franz Müntefering verfehlte am ersten Abend sein Thema „Provinz findet nur im Kopf statt“, indem er sich auf Zahlen zum demografischen Wandel kaprizierte und Allgemeinplätze bot vom Schlage „Das Wissen, das man sich ergoogelt, ist noch kein Denken.“

Noch dünner war allerdings das, was Bayerns Medienministerin Ilse Aigner bei der Verleihung der W(ahl)-Awards der BpB zum Besten gab. Immerhin erfuhr das Fachpublikum, dass die morgendliche Zeitungslektüre für die Vize-Ministerpräsidentin unbedingt dazugehört.

Wolfgang Grebenhof

 

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