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BJV-Justiziar Dennis Amour
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Maria Goblirsch

Abendzeitung

„Freie müssen einen Großteil ihrer Honorare abschreiben“

BJV-Justiziar Dennis Amour zu den Folgen der Abendzeitung-Insolvenz für die Mitarbeiter*

München, 16.06.2014

Herr Amour, die Abendzeitung München hat seit 2001 über 70 Millionen Euro an Verluste angehäuft. Am 26. Mai 2014 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Warum jetzt? Wann kann ein Zeitungsverlag denn überhaupt in Insolvenz gehen?

Dafür braucht es nach der Insolvenzordnung einen von drei Gründen: Die Zahlungsunfähigkeit, die drohende Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung. Besondere Regelungen für Medienhäuser oder Verlage gibt es dabei nicht. Im Fall der Abendzeitung waren die finanziellen Schwierigkeiten über Jahre bekannt. Man hat, um das in den Griff zu bekommen, Personal abgebaut, Immobilien verkauft und das viel beschriebene Tafelsilber veräußert. Die Deckungslücken wurden stets von der Eigentümerfamilie Friedmann gekittet. Damit war jetzt Schluss, der Verlag wurde zahlungsunfähig und damit reif für eine Insolvenz.

Was ändert sich für die Belegschaft, wenn vom Gericht ein Insolvenzverwalter bestellt wurde?

Der Insolvenzverwalter tritt an die Stelle des Arbeitgebers, er ist nun für alle unternehmerischen und auch personellen Entscheidungen zuständig. Er stellt beispielsweise auch die Arbeitszeugnisse aus. Für die Belegschaft ändert sich rechtlich zunächst nicht viel. Natürlich erzeugt die Perspektive, dass der Arbeitsplatz ernsthaft in Gefahr ist, einen hohen Druck bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Trotzdem sind sie verpflichtet, die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung weiter zu erbringen. Vorgesetzte wie der Ressortleiter oder der Chefredakteur bleiben weisungsbefugt.

Sind die Mitarbeiter vom Zeitpunkt der Insolvenz an gekündigt? Und wie lange ist das Gehalt noch sicher?

Auch nach der Eröffnung des Insolvenz-Verfahrens endet das Arbeitsverhältnis nicht automatisch. Der Insolvenzverwalter darf in einer besonderen Frist von drei Monaten kündigen, muss es aber nicht. Denn auch die Fortführung kann ja eine Perspektive für das Unternehmen sein. Im Fall der Abendzeitung war die Suche nach einem neuen Investor ja auch ein Szenario, auf das man hoffnungsvoll geschaut hat.

Das Insolvenzgeld läuft drei Monate lang vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und richtet sich grundsätzlich nach dem bisherigen Nettolohn. Es gilt jedoch zu beachten, dass zur Berechnung des Nettogehaltes lediglich das Bruttogehalt bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Arbeitslosenversicherung (West: 5950 €/ Ost 5000 €) herangezogen wird. Darüber liegende Einkommen werden nicht berücksichtigt. Sonderzahlungen werden in der Regel anteilig mit einbezogen, sofern sie nicht freiwillig gewährt werden. Nicht zum Bruttoeinkommen zählt in der Regel der Arbeitgeberanteil zur betrieblichen Altersversorgung (z.B. Presseversorgungswerk).

Durch den Arbeitnehmer umgewandelte Entgeltbestandteile zu Gunsten einer betrieblichen Altersversorgung hingegen, werden im Rahmen des Bruttoeinkommens berücksichtigt. Dazu wird so getan, als sei keine Entgeltumwandlung vereinbart worden, sodass der umgewandelte Entgeltteil Bestandteil des Arbeitsentgelts bleibt. Für die Beitragszahlung muss dann selbst gesorgt werden. Diesbezüglich ist es ratsam, sich mit dem Versicherer (Presseversorgungswerk) rechtzeitig in Verbindung zu setzen.

Vom 30. Juni 2014 wechseln die meisten AZ-Mitarbeiter für mindestens vier Monate in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. Was bringt das den Betroffenen?

Eine solche Transfergesellschaft birgt die Chance, dass sich die Mitarbeiter weiter qualifizieren können. Sie führt dazu, dass der Übergang in die Arbeitslosigkeit zeitlich hinausgeschoben wird, ohne dass sich der Anspruch auf Arbeitslosengeld dadurch verkürzt.

Die Mitarbeiter erhalten während dieser Zeit ein Transfer-Kurzarbeitergeld, das in aller Regel über dem Arbeitslosengeld I liegt. Der Insolvenzverwalter hat im Fall der AZ mitgeteilt, dass sich auch die Stadt München und das Wirtschaftsministerium beteiligen werden.

Was müssen oder sollten Mitarbeiter selbst unternehmen, wenn der Verlag in die Insolvenz geht?

Ich rate dazu, sich frühzeitig als arbeitssuchend zu melden. Das gibt dem zuständigen Sachbearbeiter bei der Arbeitsagentur die Möglichkeit, die Betroffenen zeitnah mit der Vermittlung von Angeboten oder auch mit Qualifizierungsmaßnahmen zu unterstützen. Notwendig wird die Meldung der Arbeitssuche oder Arbeitslosigkeit erst mit dem Erhalt der Kündigung, wenn der Mitarbeiter weiß, wann das Arbeitsverhältnis endet.

Wie sieht die Situation für die freien Mitarbeite nach der Insolvenz der AZ aus?

Freie sind im Fall einer Insolvenz deutlich schlechter abgesichert als ihre fest angestellten Kollegen, auch wenn sie als feste Freie oder als Pauschalisten tätig waren. Sie gelten rechtlich als Gläubiger wie etwa ein Lieferant und müssen Ihre Forderungen aus der Zeit vor dem Insolvenzverfahren zur Insolvenz-Tabelle anmelden (dafür gibt es beim Insolvenzverwalter entsprechende Formulare, die Red.). Sie sind also auf die Quote angewiesen. Wichtig ist, dass man sich rechtzeitig darum kümmert, da gelten auch Fristen, die man wirklich einhalten sollte. Realistisch gesehen heißt das: Freie müssen einen Großteil ihrer Honorare abschreiben.

Wie steht es um die Nutzungsrechte? Dürfen Mitarbeiter Texte oder Bilder einem anderen Auftraggeber anbieten?

Das ist eine Frage, die sich in der Insolvenz nicht so leicht beantworten lässt. Der Insolvenzverwalter hat ein Wahlrecht. Er kann noch nicht erfüllte Verträge bestehen lassen oder auf die Erfüllung verzichten. Man sollte hier den Insolvenzverwalter auffordern, möglichst bald sein Wahlrecht auszuüben. Im Verlagsrecht besteht zudem die Besonderheit, dass der Autor ein Rücktrittsrecht hat, soweit noch nicht mit der Vervielfältigung des Werkes begonnen wurde. Macht er dies geltend, kann er seine Beiträge in jedem Fall selbst unbeschränkt selbst weiter verwerten. BJV-Mitglieder sollten sich frühzeitig von den Justiziaren beraten lassen, um den Einzelfall genauer unter die Lupe zu nehmen.

Welche Rolle spielt ein Sozialplan in der Insolvenz?

Auch in der Insolvenz kann es einen Sozialplan geben und man sollte auch alles daran setzen, einen solchen und einen Interessenausgleich zu erreichen. Im Fall der AZ München gelang es dem Betriebsrat, die Einrichtung der Transfergesellschaft durchzusetzen. Allerdings ist das Gesamtvolumen eines Sozialplanes in der Insolvenz beschränkt.

Was tut der BJV für die AZ-Mitarbeiter?

Der BJV hat den Betriebsrat in rechtlichen Belangen rund um die Insolvenz und Möglichkeiten von Transfermaßnahmen beraten. Betroffene Mitglieder können sich jederzeit an die Rechtsabteilung des BJV wenden und erhalten kostenlos rechtlichen Rat und Unterstützung.

Maria Goblirsch

* Dieser Text stammt aus dem BJVreport 3/2014, Redaktionsschluss für diese Ausgabe war Ende Mai.

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