Vermittelten journalistische Begeisterung für Print: Christiane Pfau, Thomas Mrazek (Mitte) und Josef-Otto Freudenreich (rechts)
Foto: Robert Bergmann

Süddeutscher Journalistentag

„Der Journalist muss immer mehr wissen“

Intensive Diskussionen über Selbstverwirklichung und Zeitung als Community

Stuttgart, 18.06.2014

Der Journalist 2020? Experimentierfreudig, in allen Verbreitungskanälen zu Hause, technikaffin, ständig im Kontakt mit der Community, um die sie interessierenden Geschichten herauszufiltern, einer, der sich für monatlich 2500 Euro brutto selbstverwirklicht.

Diese Erkenntnisse konnte man aus den Diskussionen beim Süddeutschen Journalistentag auf der Stuttgarter Messe ziehen, dessen Foren einen Blick in die Zukunft wagen sollten. Da war zuerst eine Analyse der Gegenwart angesagt. Blogger und Autor Christian Jakubetz berichtete in seinem Impulsreferat von Studenten, die enttäuscht seien, weil ihre Dozenten den Medienwandel nicht begriffen hätten.

Journalismus müsse radikal neu definiert werden, forderte Jakubetz. Leute mit hoher digitaler Kompetenz gehörten in die Entscheidungsgremien, dafür lobte er die Süddeutsche Zeitung, die die Chefredaktion um süddeutsche.de-Chef Stefan Plöchinger erweitert hatte.

Die 500 Jahre alte lutherische Erkenntnis, dass man dem Volk aufs Maul schauen müsste, lautet in der Jakubetz-Version: Überlegt nicht krampfhaft in der Redaktion, was man dem Leser vorsetzen könne, sondern geht hinaus und redet mit den Leuten.

Selbst dem Zeitungsmonopol kann der Blogger etwas abgewinnen, wenn das Medium sich auf allen Vertriebskanälen tummelt und diese auch dem Publikum öffnet: „Die Lokalredaktion muss sich zur Community entwickeln, nach dem Motto: Wir schreiben nicht nur über das, worüber die Öffentlichkeit redet, die öffentliche Diskussion findet bei uns statt.“

Die Begeisterung fehlt

Angesichts der schlechten Stimmung in vielen von Zusammenlegung und Verkauf bedrohten Redaktionen hoffte Jakubetz, „dass sich Journalisten auch einmal wieder für ihren Beruf begeistern“. Dazu lieferte im „Forum Attraktivität“ die freie Journalistin Katalin Vales interessante Erkenntnisse aus ihrer Diplomarbeit an der Uni Dortmund. Diese Studie hatte ergeben, dass, vor allem bei Männern, der Wunsch nach Selbstverwirklichung – den eigenen Namen im Printprodukt lesen, die eigene Stimme im Radio hören – die stärkste Triebfeder war, sich für den Journalismus zu entscheiden.

Rund 30 Prozent hätten sich dabei sogar von fiktiven Journalisten in Literatur und Film beeinflussen lassen. Dass man mit guten Hintergrundgeschichten und investigativen Stories anderen helfen könne, sei dem journalistischen Nachwuchs schon wichtig. Frage man aber zum Beispiel in Diskussionen zur Pressefreiheit, wofür sie denn stünden, herrsche Schweigen.

Redakteure als Fließbandarbeiter

Auf Probleme, mit denen die jungen Kolleginnen und Kollegen konfrontiert würden, wiesen die Mitdiskutanten im Forum „Journalisten 2020 – Attraktivität“ hin. Man müsse sie nicht nur begeistern, sondern ihnen auch realistische Eindrücke vom Berufsalltag und den Möglichkeiten vermitteln, hob der Leiter der Deutschen Journalistenschule, Jörg Sadrozinski, hervor.

Die Tatsache, dass es mehr als 100 zum Teil sehr spezifische Studiengänge im Journalismus gebe, gaukle einen Riesenbedarf vor. Michalis Pantelouris, der 15 Jahre lang Journalist in Deutschland war und sich jetzt als erfolgreicher Olivenölhändler selbst verwirklicht, klagte, dass sich Journalisten ,,zumindest im redaktionellen Alltag, zu Fließbandarbeitern“ entwickelt hätten: „Der Manufaktur-Charakter, das Handwerkliche, ist weggefallen.“

Print in der Nische
Mit realistischen Zahlen unterlegt, berichteten Kollegen im „Forum Print“ begeistert von ihrer Selbstverwirklichung. Seit drei Jahren erscheint das Münchner Feuilleton. Anlass der Gründung war das Eindampfen des Kulturteils der Abendzeitung um zwei Drittel und unter anderen die Entlassung einer renommierten Kultur-Kollegin, berichtete Christiane Pfau, die aus der PR im Bereich Kultur kommt und jetzt als Geschäftsführerin des Blattes fungiert.

Elf mal jährlich erscheint das Münchner Feuilleton und es komme gut an, „weil da alles drin steht, was man in der Süddeutschen vermisst“. Bei 450 Abonnenten habe man eine Auflage von 25.000 Exemplaren. Die sei notwendig, um genügend Anzeigen zu generieren, die 97 Prozent der Einnahmen einbringen. „Jeder bekommt sein Geld“, beteuerte die Geschäftsführerin und jeder sind unter anderem immerhin fünf Redakteure, 30 bis 40 Autoren, fünf Grafiker, vier Mitarbeiter im Vertrieb. Das Schönste für Christiane Pfau: „Wir wollten immer Print produzieren und machen eigentlich nichts Neues, aber endlich kann man ohne Vorgaben von einem Verlag arbeiten.“

Abonnenten statt Anzeigen

2500 Euro brutto bekommt jeder der fünf Freiberufler in der Redaktion der KONTEXT: Wochenzeitung. Jeder Autor wird bezahlt, mit bis zu 200 Euro pro Text, erläutert Gründungsmitglied Josef-Otto Freudenreich. KONTEXT erscheint mittwochs digital und samstags gedruckt als „best of“ in der taz. Man beschränkt sich nicht auf den Großraum Stuttgart, sondern berichte über ganz Baden-Württemberg.

Freudenreich zur Selbstverwirklichung: „Es gab im Raum Stuttgart eine ganze Reihe Redakteure, die hatten von den Arbeitsabläufen in den Redaktionen die Schnauze voll und wollten ihr eigenes Medium machen. Die Diskussion um den Bahnhof in Stuttgart hat das beschleunigt. Ein Jahr lang wurde geplant und mit vielen Bürgern diskutiert.“ Heute hat man sich offenbar etabliert, zählt 1500 Solidaritäts-Abonnenten und kann daher auf Anzeigen verzichten. Geld kommt neben den Abos vor allem über die Kooperation mit der taz rein.

Mut zum Scheitern
Obwohl der Besuch beim Journalistentag mit nur rund 200 Besuchern hinter den Erwartungen zurückblieb, wurde in den Foren intensiv diskutiert. Eine klare Antwort auf die eingangs gestellte Frage gab es aber nicht und die Redner betonten, Prognosen seien heute noch schwieriger als im analogen Zeitalter.

Mut forderten alle. Christian Jakubetz: „Ohne Innovationen geht es nicht. Und wenn Martin Balle die AZ aufkaufen kann, dann haben die Verlage auch genug Geld.“ Der Chefredakteur des Bayreuther Nordbayerischen Kuriers, Joachim Braun, stellte fest: „Angehende Journalisten müssen immer mehr Wissen mitbringen, auch in Sachen Technik. Das Wichtigste aber ist die Leidenschaft. Redaktionen und Verlage müssen bereit sein, Neues auszuprobieren, auch auf die Gefahr hin, manchmal zu scheitern.“

Michael Anger 

                                       

 

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