Vermittelten juristischen Sachverstand (von links): Eckhart Müller, Moderator Andreas von Máriássy, Gerhard Zierl und Klaus Rehbock
Foto: Maria Goblirsch

BJV-Geschäftsstelle

„Die Justiz sitzt nicht mehr im Elfenbeinturm“

Journalistenseminar von BJV und Rechtsanwaltskammer München zur Gerichts-Berichterstattung

München, 07.10.2015

Journalisten stöhnen gern über das Fach-Kauderwelsch der Juristen und plagen sich damit ab, dieses in eine für den Leser, Zuschauer oder Hörer verständliche Sprache umzusetzen. Im Gegenzug beklagen sich Richter, Staatsanwälte oder Pressesprecher der Gerichte darüber, wie fahrlässig oft in der Berichterstattung mit Justizbegriffen und der Beschreibung von Rechtsfällen umgegangen werde.

Was läge hier näher als „den Austausch so zu pflegen, dass man die gegenseitigen Befindlichkeiten in den Griff bekommt und vom Ergebnis beide Seiten profitieren“. So fragte der Münchner Strafverteidiger Andreas von Máriássy, der die Veranstaltung moderierte. Mit einem Seminar, das von BJV und der Rechtsanwaltskammer München organisiert wurde, informierten Rechtsexperten am 6. Oktober über wichtige Fragen der Gerichts-Berichterstattung.

Gerhard Zierl war zwölf Jahre Pressesprecher des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz unter vier Ministern, bevor er für weitere zwölf Jahre als Präsident das Amtsgericht München leitete. In dieser Zeit entwickelte er „eine gewisse Affinität zur Presse“. In seinem Referat zum Auskunftsanspruch der Presse stellte Zierl zu Beginn klar: „Sie dürfen als Journalist alles fragen, sind gegenüber anderen Bürgern privilegiert. Und wenn Ihnen der Richter oder Staatsanwalt, der den Fall bearbeitet, auf den Leim geht und antwortet, ist das nicht Ihr Problem, sondern seines“.

Richter und Staatsanwalt dürfen keine Auskunft geben
Nach Artikel 4 des Bayerischen Pressegesetzes (BayPG), erklärte Zierl, habe die Presse nur gegenüber Behörden ein Recht auf Auskunft, nicht aber gegenüber dem einzelnen Richter oder Staatsanwalt. Ansprechpartner seien der Leiter der jeweiligen Behörde oder der von ihm beauftragte Pressesprecher.

Wer Auskünfte von der Justiz bekommen wolle, müsse nach dem Gesetz Redakteur einer Zeitung oder Zeitschrift sein oder von diesem Medium als Mitarbeiter ausgewiesen werden. Auch andere Medien wie Rundfunk, Fernsehen oder Onlineauftritte könnten nach dem Pressegesetz dieses Recht geltend machen, obwohl sie im Pressegesetz nicht eigens aufgeführt seien.

In jedem einzelnen Fall sei bei der Weitergabe von persönlichen Daten abzuwägen, ob das Interesse der Öffentlichkeit auf Informationen höher wiege oder das Schutzbedürfnis und die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Menschen (wie etwa mögliche Folgen für die Angehörigen oder den beruflichen Werdegang). Oder ob eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht entgegenstehe wie sie bei Steuerverfahren, bei Betreuungssachen oder bei Jugendlichen generell gilt.

Pressrichtlinien für den Umgang mit der Justiz
Jedes Medium müsse, auch wenn die Auskünfte aus einer „privilegierten Quelle“ stammten, noch einmal prüfen, ob eine Veröffentlichung wirklich zulässig sei. Wie der Fall Kachelmann zeige, könne es teuer werden, wenn ein Blatt über nicht erwiesene Umstände oder Verdachtsmomente berichte.

Längst sitze die Justiz nicht mehr im Elfenbeinturm, betonte Gerhard Zierl. „Wir in der Justiz haben erkannt, dass die Zusammenarbeit mit der Presse sinnvoll sein kann“. Das zeigten auch die im Mai 2014 erlassenen Richtlinien, die die Zusammenarbeit der bayerischen Justiz mit der Presse regeln.

Jede Berichterstattung hinterlässt Spuren, auch im Netz, erinnerte der Medienrechtler Klaus Rehbock. Er fasste zusammen, was in der Richtlinie 8.1 des Pressekodex steht. Danach haben Journalisten einen Anspruch auf Gerichtsberichterstattung, der mit den Persönlichkeitsrechten (Recht am eigenen Bild und Wort, Recht auf Vergessen werden) kollidiere. Hier müsse in jedem Fall abgewogen werden.

Überwiegt das Interesse an einer Resozialisierung?
Es gebe auch keinen Automatismus, dass berichtet werden dürfe, sobald der Strafanspruch des Staates getilgt und die Strafe abgesessen worden sei. Am Beispiel der Lebach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1973 beschrieb er, dass das „Resozialisierungsinteresse“ des verurteilten Straftäters im Einzelfall höher zu bewerten sei als eine in Text oder Foto identifizierende Berichterstattung.

Je weiter eine Tat zeitlich entfernt liege und je weniger ein aktueller Bezug zu Vergleichsfällen gegebenen sei, desto stärker wiege das Interesse des Täters daran, nicht wieder in die Schlagzeilen zu geraten.

Müssen identifizierende Artikel zehn Jahre später aus einem Online-Archiv gelöscht werden, wenn die Strafe abgesessen ist oder die Entlassung in absehbarer Zeit bevorsteht? Dazu habe der BGH entschieden: Die verurteilten Straftäter könnten keine nachträgliche Löschung verlangen, wenn der ursprüngliche Artikel zulässig gewesen sei und an dem Fall noch ein gewisses öffentliches Interesse bestehe. Denn ein Archiv habe die historische Funktion, dass man nachsehen könne, was damals berichtet wurde.

Google und das Recht auf Vergessen
Am 14. Mai 2014 hat der Europäische Gerichtshof in einem Verfahren gegen Google allerdings das Recht auf Vergessen bekräftigt. Rehbock beschrieb den zugrunde liegenden Fall eines spanischen Unternehmers, der vor mehr als zehn Jahren in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Über Google waren noch immer Berichte aus der damaligen Zeit verlinkt, was dem Betroffenen einen wirtschaftlichen Erfolg unmöglich zu machen drohte.

Das Gericht habe entschieden, in einem solchen Fall sei Google keine reine Suchmaschine, sondern ein „aktiver Verbreiter“, der mit den Links und Verweisen auf alte Artikel aktiv und aktuell in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreife. Mit der Folge, dass der Unternehmer ein Recht auf Vergessen und einen Anspruch auf Löschung habe.

Google habe reagiert und viele Anfragen auf Antrag gelöscht, allerdings nur im europäischen Raum, nicht weltweit.

Wie sieht ein Strafverteidiger die Presse?
Inwieweit beeinflusst oder manipuliert die öffentliche Meinung den Ausgang von Strafprozessen? Mit dieser Frage beschäftigte sich Prof. Dr. Eckhart Müller in seinem Beitrag. Er warnte am Beispiel des Tugce-Falls vor den Folgen einer medialen Vorverurteilung: Die junge Frau sei in den Medien als Verkörperung von Zivilcourage gefeiert und sogar für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen worden. In der Hauptverhandlung habe sich dann herausgestellt, dass das Opfer den jugendlichen Täter provoziert habe.

Der Fachanwalt für Strafrecht berichtete von einem neuen Trend, der „Litigation-PR“, einer neuen Form der juristischen Pressearbeit, die damit werbe, alles und jeden zu instrumentalisieren, „um dem juristischen Ziel des Mandanten möglichst nahe zu kommen“. Vielmehr sollten die „Thesen der Strafverteidigung“ (PDF, 101 Seiten, 6,8 MB) Richtschnur für den Umgang mit Medienvertretern sein.

Daraus zitierte er, die Verteidigung sei „nicht in und über die Medien“ zu führen. Und die Medien sollten keine Einsicht in Gerichtsakten bekommen. Außerdem sollten Verteidiger nicht an der Vermarktung möglicher Straftaten ihrer Mandanten mitwirken.

In der sich anschließenden Diskussion ging es unter anderem auch darum, dass zwar der Anklagesatz, nicht aber die Anklageschrift an die Presse herausgegeben werden darf. Urteile werden nur „geschwärzt“ von den Staatsanwaltschaften herausgegeben. Der Tipp eines Anwalts dazu: Aktenzeichen bei Google eingeben. Viele Urteile seien außerdem in den Datenbanken bei Beck oder Juris zu finden, die allerdings einen kostenpflichtigen Zugang erfordern.

Maria Goblirsch

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