Debattierten beim dritten BJV-Streitgesprächs der Fachgruppe Rundfunk (v.l.n.r.): Karl-Heinz Hörhammer, Simone Emmelius, Harald Stocker, Martin Wagner und Eun-Kyung Park
Foto: Maria Goblirsch

Fachgruppe Rundfunk

Kannibalismus zwischen BR und privaten Sendern?

BJV-Streitgespräch zum Verlust des jungen Publikums

München, 02.07.2015

Jugendliche haben keine Lust darauf, um 20 Uhr die Tagesschau einzuschalten und sich zehn Themen rein drücken zu lassen, von denen sie die Hälfte bis zum „Tatort“ schon wieder vergessen haben. Diese Beobachtung von LeFloid (bürgerlich Florian Mundt), Blogger, Videoproduzent und Betreiber eines gleichnamigen YouTube-Kanals, beschreibt treffend ein Szenario, das öffentlich-rechtliche und private Sender gleichermaßen fürchten: die Abwanderung des jungen Publikums zu sozialen Netzwerken oder zu YouTube.

Wie reagieren Radio- und TV-Sender auf diesen Verlust? Darüber diskutierten Experten und Zuhörer am Mittwoch im Münchner PresseClub. Über 70 Journalistinnen und Journalisten aus allen Mediengattungen waren zur dritten Veranstaltung der Reihe „BJV-Streitgespräch“ gekommen.

Der Bayerische Rundfunk (BR) setzt im Wettbewerb um das junge Publikum auf den trimedialen Jugendkanal puls, der seit Mai 2013 auf den Übertragungswegen seines Vorgängers on3 sendet. „Wir bringen das zusammen, was zusammen gehört und versuchen damit junge Menschen zu erreichen“, sagt BR-Hörfunkdirektor Martin Wagner. Das gelinge über den digitalen Bereich bisher nicht genügend, „es ist nicht die Killerapplikation, die ich mir herunterladen müsste“. Eine eigene UKW-Frequenz hat der Jugendkanal nicht. Daher plant der Sender, BR Klassik künftig nur noch über DAB+ auszustrahlen und die frei werdenden UKW-Frequenzen für puls zu nutzen.

BR macht die Privaten platt
Dieses Vorhaben erzürnt Antenne Bayern-Geschäftsführer Karl-Heinz Hörhammer, der derzeit gemeinsam mit anderen privaten Sendern gegen die Lizenzierung von puls vor Gericht klagt. „Der Bayerische Rundfunk verstößt hier gegen den Rundfunkstaatsvertrag. Ich kann nicht nachvollziehen, dass man auf der einen Seite mit einem Spezialformat ein junges Publikum erreichen will und dazu die landesweiten UKW-Frequenzen nutzen möchte, dafür aber eine andere Zielgruppe, die Klassikhörer, ins digitale Ghetto schicken muss“, kritisiert er.

Das sei eine Situation, die den privaten Sendern sehr zu schaffen mache, weil sie nicht auf die Gebührenfinanzierung zurückgreifen könnten, sondern sich über den Werbemarkt refinanzieren müssten. „Wir haben etwas dagegen, dass der BR eine Strategie entwickelt, die die Privaten in Bayern platt macht“, brachte es Hörhammer auf den Punkt. Noch gelinge es recht gut, die jungen Zielgruppen zu halten. „Wir kämpfen darum“.

Kannibalisieren sich also die neuen Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender mit denen der Privaten, fragte Moderator Harald Stocker, Vorsitzender der Fachgruppe Rundfunk, die Experten. Die sprachen lieber vom „Fraktieren“ und von gleichen Herausforderungen für alle Wettbewerber. Auch Eun-Kuyung Park, Geschäftsführerin von ProSiebenSat1 TV Deutschland /TV Relations & Business Development fürchtet das neue Angebot der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz im Internet nicht.

„Ich sehe das sehr entspannt, dass jeder versucht, seine jungen Zielgruppen wieder zu erreichen. Jeder geht da auf unterschiedliche Weise vor“, sagt sie und schildert am Beispiel von Galileo, wie ein motiviertes kleines Redaktionsteam aus einer klassischen TV-Sendung neue junge Formate „konfektioniert“, wie das im Fachjargon heißt. TV-Themen werden so aufbereitet und mit Bildern angereichert, dass sie als kurze Spots ein junges Publikum ansprechen und dazu animieren, mehr im klassischen TV-Programm zu erfahren.

Bei ZDF und ARD sitzen die Jungen noch nicht in der ersten Reihe
So weit ist man beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen noch nicht. „Wir befinden uns noch in der Phase, einen Rahmen zu entwickeln, in dem ein solches Angebot leistbar wäre. Dieses Programm haben ARD und ZDF vorgestellt und die Ministerpräsidenten werden im Dezember darüber entscheiden“, berichtete Simone Emmelius, Leiterin ZDFneo.

Ohne diese Ermächtigung könne keiner bei ARD oder ZDF etwas Fundiertes dazu sagen, wie das neue Jugendprogramm tatsächlich ausgestaltet werde. Das neue Angebot soll sich an eine Zielgruppe richten, die „zwischen KiKa (Kinderkanal) und ZDFneo liegt, also zwischen 10 und 25 Jahren.“

Radikaler Medienwandel
Zur Abwanderung der jungen Nutzer in die sozialen Netzwerke sagte Simone Emmelius, man müsse sich vor Augen zu halten, wie diametral sich die Medienlandschaft verändert habe. Das ZDF sei als Einkanalsender gegründet worden mit der Aufgabe, mit diesem einen Kanal alle seine Zielgruppen zu erreichen.

Inzwischen aber habe sich der Fernsehmarkt durch die Digitalisierung weg entwickelt von einem Anbietermarkt, bei dem der Sender dem Nutzer sagen könne, was er ansehen soll. „Das junge Publikum erwartet heute von uns, dass wir seine speziellen Interessen ansprechen.“ Der jugendliche Nutzer entscheide, wann und auf welchem Medium er die Inhalte abrufen wolle. Daher müssten die öffentlich-rechtlichen Sender in die Lage versetzt werden, diese Zielgruppe mit eigens konfektionierten Angeboten zu erreichen.

Das sieht auch Hörfunkdirektor Martin Wagner so. Der BR müsse sich bewegen und mit seinem Angebot dorthin gehen, wo sich das junge Publikum gerade aufhalte. Daher genieße das Jugendangebot puls im Sender einen hohen Stellenwert und verfüge über den größten Etat aller Digitalprogramme. „Wir sind nicht dazu da, eine Nische zu füllen, wir haben einen öffentlichen Auftrag, dem wir nachkommen müssen“, sagt er. Ob es gelinge, das junge Publikum später einmal später ins klassische Programm zurückzuholen, wisse man heute nicht. Aber man hoffe natürlich auf einen solchen Trend.

Maria Goblirsch

Einen ausführlichen Bericht zum BJV-Streitgespräch lesen Sie in der nächsten Ausgabe des BJVReport. Das Heft 4/2015 erscheint zirka Mitte August.    

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