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Trotz schwieriger Bedingungen optimistisch: Türkische Nachwuchsjournalisten und Colin Dürkop (rechts im Bild)
Foto: 
Maria Goblirsch

Journalismus

Türkei: Mit einem Bein stets im Gefängnis

Junge türkische Journalisten berichten über Arbeitsbedingungen in ihrem Land

München, 14.12.2011

Im Rahmen eines Studien- und Dialogprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) besuchten am Montag fünf türkische Nachwuchsjournalisten, eine Vertreterin des Türkischen Journalisten-Verbands und der Leiter des Auslandsbüros Türkei der KAS, Dr. Colin Dürkop den BJV. Im offiziellen Programm hieß es „Die Aufgaben des BJV als Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten“, freilich informierten sich die BJV-Teilnehmer in dem knapp zweistündigen Gespräch auch über die Situation ihrer türkischen Kollegen.

Rainer Reichert, Vorsitzender des Arbeitskreises (AK) Europa im BJV und DJV erklärte die Aufgaben, Arbeitsweisen und die föderale Struktur von BJV und DJV. Regelrecht verwundert waren die türkischen Gäste darüber, dass unsere Gewerkschaft kein allgemeinpolitisches Mandat wahrnimmt und sich etwa bei Themen wie Atomausstieg nicht äußert und auch nicht mit den Erklärungen von NGOs gemein macht. „Wir äußern uns nur zu Themen, die tatsächlich unseren Berufsstand betreffen“, erläuterte Maria Goblirsch, Beisitzerin im Landesvorstand und stellvertretende Vorsitzende des AK Europa. So engagiere sich der BJV etwa auch bei Themen wie Vorratsdatenspeicherung

Wolfgang Grebenhof, stellvertretender Vorsitzender der Fachgruppe Betriebs- und Personalräte im BJV, sowie Beisitzer im DJV-Bundesvorstand, schilderte den türkischen Kollegen wo es bei uns hakt: „Der Redakteur ist zu teuer, sagen die Verleger“. Auch bei Freien Journalisten und bei Onlinern werde an allen Ecken und Enden gespart. Diese Rahmenbedingungen erschwerten zunehmend das journalistische Arbeiten.

„Wir kämpfen dafür, diese Zustände zu verbessern“, sagte der Zeitungsredakteur und verwies auf den Tarifstreit bei den Tageszeitungen: „Das war der größte Streik seit 20 Jahren, aber bereits 2013 wird es die nächste Tarifauseinandersetzung geben“. Von der stetig steigenden Arbeitsbelastung einer Lokalredakteurin berichtete Margit Conrad, stellvertretende Bezirksvorsitzende München-Oberbayern und Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes im BJV. So müssten bei ihrem Arbeitgeber Print-Redakteure gleichzeitig neben den Texten für die Print-Ausgabe noch zusätzlich eigene, verkürzte Versionen für den Online-Auftritt ihrer Zeitung erstellen.

Prekäre Situation für türkische Journalisten
Dennoch ist das journalistische Arbeiten in Deutschland mit dem in der Türkei nicht zu vergleichen, das war den BJV-Kollegen – neben den vorgenannten nahm auch Online-Fachausschussvorsitzender Thomas Mrazek an dem Treffen teil – natürlich schon vorher klar.

Auf dem Kongress der Europäische Journalisten-Föderation (European Federation of Journalists – EFJ) in Istanbul im April 2010 wurde durch die türkischen Kollegen auf unzureichende Bedingungen für die Gewerkschaftsarbeit hingewiesen und die hohe Zahl inhaftierter türkischer Journalisten beklagt. Als DJV-Vertreter in der EJF nahm Rainer Reichert an diesem Kongress teil. Die Situation hat sich seither noch verschärft. Zuletzt war von 70 inhaftierten Kollegen die Rede.

Die türkischen BJV-Gäste bestätigten die schwierige Situation in ihrem Heimatland. Zumeist würden Journalisten unter fadenscheinigen Gründen verhaftet und dann in bis zu drei Jahren dauernde Untersuchungshaft genommen. Nicht selten werde den Journalisten die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung unterstellt. Auch die weiteren Rahmenbedingungen für das journalistische Arbeiten seien alles andere als gut: Es gibt keine Tarifverträge, die Bezahlung ist häufig schlecht, der Organisationsgrad der Medienschaffenden ist gering. Presseausweise, die etwa bei der politischen Berichterstattung unerlässlich sind, werden von der Regierung ausgegeben.

Anzeigen vom Amt
Von einem Presse- und Anzeigenamt erhalten lokale Zeitungen ihre Anzeigen zugewiesen, vorausgesetzt es erfolgt eine regierungsfreundliche Berichterstattung. Eher unpolitische Anzeigenblätter erschienen als Konglomerat „zusammengeklauter Artikel“ oder völlig „journalismusfremde Unternehmer“ nutzten solche Blätter für ihre Selbstdarstellung. Zumindest hier seien aber künftig „für den Journalismus zuträgliche Reformen“ zu erwarten, berichtete einer der Teilnehmer.

Kolumnitis bei den Tageszeitungen
Das höchste Ansehen in türkischen Zeitungen genießen die Kolumnisten. Mitunter werden nur wegen ihnen die Zeitungen gekauft, sie wären regelrechte Stars, erklärten einige der Teilnehmer. Auch bei Politikern sind die zumeist unkritischen Kolumnisten beliebt, bieten sie ihnen doch weitere Publizität. Das Renommee recherchierender Journalisten hingegen sei miserabel, „sie stehen ganz am ganz Ende der Pyramide“, verdeutlichte eine Teilnehmerin die Rangfolge im türkischen Printjournalismus.

Rainer Reichert verwies die türkischen Gäste auf die beim DJV-Verbandstag verabschiedete Resolution „Inhaftierte Journalisten und Mediensituation in der Türkei“ (siehe unten, Resolution: R 14) und sicherte zu, dass BJV und DJV die Lage in der Türkei weiterhin kritisch beobachten werden. Auf ihrer einwöchigen Informationsreise besuchen die Journalisten neben dem BJV unter anderem auch die Süddeutsche Zeitung, die Deutsche Journalistenschule, den Bayerischen Rundfunk, diverse Politiker in Berlin, sowie den Deutschen Presserat und Regierungssprecher Steffen Seibert.

Resolution: R 14
Antragsteller: Ralph Bauer, Markus Mauritz, Rainer Reichert, Hans-Joachim Weber (alle BJV), Karl Geibel (DJV Baden-Württemberg) und Fachausschuss Europa
Betr.: Inhaftierte Journalisten und Mediensituation in der Türkei
Der Verbandstag 2011 des Deutschen Journalisten-Verbandes fordert die türkische Regierung auf, die wegen ihrer kritischen Berichterstattung inhaftierten 66 türkischen Journalisten sofort frei zu lassen. Darüber hinaus muss die Republik Türkei endlich die Verfolgung von Journalisten einstellen. Sie hat die Freiheit der Presse und der Berichterstattung gemäß Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu garantieren.
Quelle: DJV.de: Dokumentation des DJV-Verbandstags 2011 – 7. bis 9. November 2011 in Würzburg (Download als PDF, 21 Seiten, 112 kb)

Weitere Informationen zum Thema

Thomas Mrazek

Schlagworte:

Türkei | Pressefreiheit

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