Gute Gast- und Impulsgeberin: Anita Grasse
Foto: Anja Cord

DJV-Verbandstag 2014

Den Journalismus neu erfinden

Tarife, Quoten und die Zukunft unseres Metiers – 300 JournalistInnen diskutierten beim DJV-Verbandstag 2014

Weimar, München, 06.11.2014

Der Journalismus hat keine Zukunft mehr? Wer Anita Grasse hört, die Vorsitzende des DJV Thüringen, lässt so schnell den Mut nicht sinken. Die Gastgeberin des DJV-Verbandstags in Weimar möchte als Medienschaffende nicht nur ihre Brötchen verdienen, sondern „auch mal ein Steak essen“. Aber die temperamentvolle Kollegin weiß: „Ich muss es mir selber braten.“ Ihr fröhliches Trotzdem hellte in trüben Novembertagen in der Klassikerstadt nicht nur die Stimmung auf, es ließ auch einen Sonnenstrahl in verzagte Kollegenherzen fallen.

Selbstkritik und neue Wege
Katerstimmung hat die letzte Tarifrunde hinterlassen. Klar konnten die DJV-Verhandler Schlimmeres verhüten, so dass immerhin Manteltarif und Altersversorgung weiter gelten. Gleichwohl musste DJV-Geschäftsführer Kajo Döhring einräumen: „Wir haben vieles nicht erreicht.“ Kein einziger Verlag ohne Tarifbindung kehrte zurück, im Gegenteil erodiert die Presselandschaft unaufhaltsam weiter.

In der Arbeitsgruppe Tarife wurde kritisch bilanziert. Die Jungredakteure hätten am meisten gelitten, beklagte Richard Mayr, BJV-Bezirksvorsitzender in Schwaben. Solidarität heiße: „Wenn schon Abstriche, dann für alle.“ Martin Prem, Betriebsrat beim Münchner Merkur, sah immerhin ein Gutes an der Mobilisierung: „Wer so aktiv am Streik teilnimmt, kann auch einen Haustarif durchsetzen.“

Wolfgang Grebenhof, DJV-Vorstandsmitglied aus Feuchtwangen, riet nicht nur defensiv darauf zu achten, mit einer schwarzen Null am Ende herauszukommen, sondern neue Strategien des Arbeitskampfes zu entwickeln. „Wir sollten mehr Biss zeigen.“ Und in der Zwischenzeit Druck aufbauen, besonders durch eine Arbeitszeiterfassung, die die steigenden Belastungen der Redakteure dokumentiert.

Dumpinghonorare – ohne mich!
Abseits der Tarifverträge hatte Thüringens Vorsitzende Anita Grasse einige wirksame Ratschläge: „Ich habe mir geschworen, nicht mehr für Dumpinghonorare zu arbeiten.“ Denn für gute Geschichten seien die Leute bereit, gutes Geld zu zahlen. Mit jugendlichem Schwung ermunterte Grasse zu mehr Miteinander. „Bilden Sie Projektteams, halten Sie sich an vereinbarte Honorar-Untergrenzen.“ Wenn Feste und Freie zusammenarbeiten, „würden nicht nur die Blätter besser, sondern auch die Arbeitsbedingungen“. Außerdem: „Fangen wir an zu experimentieren, erfinden wir den Journalismus neu, entwickeln wir Formate, die begeistern!“ (Newsroom.de hat freundlicherweise Grasses Rede in gekürzter Form dokumentiert).

Quotendebatte
Den DJV neu zu erfinden, fehlte allerdings der Mut. Eine Quote für jüngere Delegierte unter 40? In die Satzung bekommt man so ein Aufbruchssignal trotz ausdauernder Redeschlacht nicht. Mochte Jana Lavrov, die Vorsitzende des Fachausschusses Junge, noch so sehr die Delegierten beschwören, die Jungen zu aktivieren. Selbst der BJV-Vorsitzende Michael Busch, mit 43 nur knapp über der angepeilten Altersschwelle, hielt sie „nicht zwangsweise für eine Lösung“. Sein Vorgänger Wolfgang Stöckel lehnte sie rundweg ab. Schließlich kam wenigstens eine Resolution heraus, die Landesverbände mögen sich eine Selbstverpflichtung auferlegen.

Anträge des BJV
In die Warteschleife verwiesen wurde indes der bayerische Vorschlag, große und kleine Verbandstage im Wechsel abzuhalten, um Kosten zu sparen. Erst sollten die Erfahrungen der zweitägigen Weimarer DJV-Versammlung ausgewertet werden, wurde beschlossen. Verzicht auf Vorratsdatenspeicherung, doppelter Schadenersatz bei Urheberrechtsverstößen und eine gesetzliche Durchsetzbarkeit der angemessenen Vergütung konnte Bayern als medienpolitische Ziele einspeisen.

Mit finanziellen Empfindlichkeiten anderer Landesverbände kollidierte die BJV-Forderung, in den Streikfond wieder einen Euro je Mitglied einzulegen, mochten Busch und Grebenhof auch vorrechnen, dass die Belastung minimal sei. Denn andere Landesetats sind eng gestrickt. Eine Bitte um Prüfung im Gesamtvorstand des DJV blieb übrig. Auch der Etat 2015 des DJV ist so auf Kante genäht, dass die Bayern-Delegierte Susanne Schmidt schon besorgt fragte, woher Schatzmeister Frank Überall nur diesen Optimismus nehme.

Augsburger Kollege in den Presserat gewählt
Eine sichere Zukunft hat auf jeden Fall der Deutsche Presserat. Auf die Augsburgerin Uschi Ernst folgt der Augsburger Sascha Borowski. Aus dem Stand heraus überzeugte der 43-jährige Leiter der Online-Redaktion der Augsburger Allgemeinen bei der Wahl der DJV-Vertreter für dieses Gremium zwei Drittel der knapp 300 Delegierten.

Als Zeitungsonliner beschreite er jeden Tag eine Gratwanderung, sagte Borowski in seiner Vorstellung. „Wir sollten sehr schnell sehr viel Reichweite schaffen und trotzdem journalistisch korrekt arbeiten.“ Während der Fußball-WM hatte er einen „Shitstorm“ zu bestehen; tausende User regten sich über eine verunglückte Fotosatire auf. Erlösung im Krisenmanagement schuf ihm das Posting, in solchen Fällen könne man sich beim Deutschen Presserat beschweren.

Seit 25 Jahren gehört Borowski zur Augsburger Redaktion mit Bodenhaftung im Lokalen, als Polizei- und Gerichtsreporter. In der digitalen Szene ist er längst kein Unbekannter mehr. 2002 gründete er die Website Dialerschutz.de zur Aufklärung über Abzocke, Online-Kriminalität und Datenmissbrauch und wurde zum gefragten Referenten der Verbraucherzentrale.

Uschi Ernst, Redakteurin im Ressort Bayern und Welt, war nach 20 Jahren Zugehörigkeit zum Deutschen Presserat nicht mehr angetreten. Bis zum Frühjahr 2015 wird sie freilich noch den Beschwerdeausschuss leiten. Eine „sehr überzeugende Rolle“ habe sie dort all die Jahre gespielt, dankte ihr DJV-Geschäftsführer Döhring. Zeitweilig war sie sogar Sprecherin des Presserats.

Mit zwiespältigen Gefühlen nimmt Uschi Ernst nun Abschied. Der Beschwerdeausschuss bringe schon „wahnsinnig viel Arbeit“ mit sich, „aber es waren immer spannende Themen und ich durfte mit hochkompetenten Kollegen zusammenarbeiten“, bilanzierte die Augsburger Journalistin. Ihr Kollege Sascha Borowski sei genau die richtige Wahl, denn Beschwerden aus dem Online-Bereich machten schon über die Hälfte der Eingänge im Presserat aus.

Alois Knoller

Weitere Informationen

BJV-Newsletter abonnieren!

Hier können Sie unseren kostenfreien Newsletter abonnieren. Bitte geben Sie Ihre E-Mail Adresse an. Das System sendet an diese Adresse einen Link, mit weiteren Informationen zum Abschluss der Anmeldung.