Diskutierten über Journalisten im Krisenmodus (von links): Markus Knall, Anja Miller, Moderator Thomas Morawski, Julia Bönisch und Richard Gutjahr
Foto: Maria Goblirsch

Fachgruppe Rundfunk

„Das Erschreckende: Es war schon Routine“

BJV-Podiumsdiskussion „Nizza, München, Ansbach – Journalisten im Krisenmodus“

München, 26.10.2016

„Ich wünschte, wir würden der Gründlichkeit wieder Vorrang vor der Schnelligkeit geben“, sagte Anja Miller. Die Redaktionsleiterin der „BR Rundschau“ war jetzt Podiumsgast bei der BJV-Diskussionsrunde „Nizza, München, Ansbach – Journalisten im Krisenmodus. Breaking News im Zeitalter des digitalen Stammtischs“ im Literaturhaus München.

Mit ihr spürten der Frage nach, wie sich journalistische Qualität unter den heutigen Umständen und in Zukunft sichern lasse in Ausnahmesituationen wie dem Amoklauf in München: Julia Bönisch, stellvertretende Chefredakteurin bei SZ.de, Ralf Exel, Journalist und Moderator für ProSiebenSat.1, Richard Gutjahr, Blogger, Journalist und Moderator, sowie Markus Knall, Chefredakteur von Merkur.de, tz.de und der Zentralredaktion der Ippen-Gruppe.

Fernsehjournalist Thomas Morawski moderierte das Podium und die anschließende Diskussion mit einigen der rund 100 Besucher. „Wir wollen und müssen berichten, das Publikum erwartet das“, führte er ins Thema ein – und verwies gleichzeitig auf das „Dilemma zwischen Müssen und Können“. Den Abend am Rande der Medientage München organisiert hatten die Fachgruppen Rundfunk und Online sowie der Bezirksverband München – Oberbayern des BJV.

„Alle waren auf Terror gepolt“
„Das Erschreckende war: Es war schon Routine“, reflektierte Chefredakteur Knall den Abend des Münchner Amoklaufs, die ganze Maschinerie sei entsprechend schnell angelaufen. Dass das Ereignis dann eine derartige Dynamik gewonnen habe, lag aus Julia Bönischs Sicht vor allem auch daran, dass alle auf Terror gepolt waren. Gerüchte und manche Unwahrheit wurden über Soziale Medien rasend schnell verbreitet, Millers Eindruck: Journalisten hätten sich dadurch teilweise unter Druck setzen lassen. Vor allem aber habe sich die Stadt unter Druck setzen lassen.

Konsequenz für die Redaktionsleiterin: Aufgabe von Journalisten sei es in einer solchen Situation, Ruhe in die Sozialen Medien zu bringen und einzuordnen. Bönisch sieht es ähnlich: „Da sind Informationen draußen. Wir können nicht so tun, als wüssten es die Zuschauer nicht.“ Journalisten sollten Gerüchte aufnehmen, einordnen und für Transparenz sorgen.

„Eine Art Bürgermeister am Stammtisch“
Gutjahr, der selbst einen extremen Shitstorm erleben musste, sagte zur Rolle der Sozialen Medien: Menschen hätten damit Tools erhalten, aber noch nicht das rechte Maß gefunden, mit der Verantwortung umzugehen. Er verglich: „Leute am Stammtisch haben ein Megaphon in die Hand bekommen.“ Anja Miller leitete ab: Eine ganz große Aufgabe der Medien sei es, Instanzen zu schaffen, um die Menschen noch stärker vor Trollen zu schützen als „eine Art Bürgermeister am Stammtisch“.

Es gebe Notfallpläne bei SZ.de und auch Guidelines „mit so Banalem wie Schlagworte für die Suchmaschinen zu formulieren“, sagte Bönisch. Für wichtig hielt die stellvertretende Chefredakteurin aber vor allem auch, dass sich Kollegen nach der Katastrophe zusammensetzten und reflektierten, was funktioniert habe und was nicht. Das führte etwa auch dazu, dass ihr Team am nächsten Morgen verschiedene Fotos wieder gelöscht habe, weil etwa Polizisten auf den Bildern zu erkennen waren.

Neue Aufgaben für die Ausbildung
Einig waren sich die Podiumsgäste, dass es eine Rückbesinnung auf die tatsächlichen journalistischen Aufgaben brauche. „Wir sollten wieder lernen, die Stimme der Vernunft zu sein“, betonte Gutjahr, fügte an: „Wenn Du`s nicht sicher weißt, sparst Du Dir den Retweet.“

Auch leitete die Podiumsrunde neue – oder vielmehr ganz alte – Aufgaben für die journalistische Ausbildung ab: Jungen Kollegen müsse man deutlich sagen, dass Journalismus nicht bedeute, rauszulaufen und möglichst schnell zu filmen, sagte Ralf Exel. Gutjahr empfiehlt Redaktionen, die Erfahrung der älteren Kollegen mit dem Wissen der Jüngeren zu kombinieren, „die blind snapchatten können“.

Michaela Schneider


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