Sigmund Gottlieb (rechts im Bild) möchte auf seinem Sender künftig weniger Nachrichten, die mit „Nach Informationen der Welt oder der Süddeutschen Zeitung“ beginnen. Klaus Ott freut's
Foto: Maria Goblirsch

Bezirksverband München-Oberbayern

Gottlieb: Die neue BR-Rechercheeinheit erhöht die Schlagkraft

BJV-Streitgespräch zum investigativen Journalismus

München, 05.02.2016

„Wir waren gut, aber es hat uns an Durchschlagkraft und an der Bündelung der Recherchearbeiten gefehlt. Jetzt wollen wir mit der neuen BR Rechercheeinheit eine größere Schlagkraft erreichen. Unsere Rechercheleistung soll eine eigene Marke werden“, beschreibt Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens die Situation beim Thema investigative Berichterstattung.

Der BR werde dazu auch Bündnisse außerhalb des Hauses eingehen, freilich anders als die Süddeutsche Zeitung „nicht in starrer Monogamie, sondern in kluger Polygamie“. Das heißt, man habe in der Vergangenheit bei der Recherche wechselnde Partner gehabt und die werde der BR auch in Zukunft haben, erklärte der BR-Chefredakteur am Mittwoch im Münchner Presseclub bei der vierten Folge der Reihe „BJV-Streitgespräch“.

Experten und Zuhörer diskutierten das Thema „Reporter mit Grenzen – Investigativer Journalismus in Gefahr? Recherche-Pools als Ausweg?“ Es moderierte Michael Busch, Redakteur beim Fränkischen Tag und 1. Vorsitzender des BJV.

Recherchepools bringen mehr Qualität ins Blatt
Verlage reduzieren ihr Personal und große Medienhäuser kooperieren und bündeln ihre Kräfte in Print, Fernsehen und Hörfunk in sogenannten Recherche-Pools. Gehen diese Entwicklungen zulasten der Journalisten und der journalistischen Qualität?

Ist investigativer Journalismus in kleineren Redaktionen überhaupt noch möglich? Und wird durch Recherche-Pools die Vielfalt der Informationsquellen eingeschränkt oder doch erweitert? Darüber diskutierten Sigmund Gottlieb, BR-Chefredakteur Fernsehen, Klaus Ott, investigativer Rechercheur bei der Süddeutschen Zeitung und Folker Quack Leitender Redakteur bei der Würzburger Main-Post vor rund 60 Zuschauern.

Einig waren sich die Journalisten auf dem Podium darin, dass die Arbeit der Recherchebündnisse heute mehr Qualität in die Medien bringe und Geschichten ermögliche, die sonst nicht publiziert werden könnten. „Früher hat jeder in seinem Ressort vor sich hingearbeitet. Heute ist die Struktur durchlässig geworden, es gibt keine Trennung mehr zwischen Print und Online und trotz knapper werdender Mittel gelingt es, Ressourcen frei zu schaufeln“, beschreibt das SZ-Journalist Klaus Ott.

Neben Genauigkeit ist auch Fairness gefragt
Manches gehe nur im Verbund, was eine Zeitung allein mit ihren Mitteln nicht ausrichten könne. Ott zeigte sich überzeugt davon, dass traditionelle Medien auf Dauer nur dann eine Chance hätten, wenn sie sich ständig bemühten, besser zu werden, „also wir noch genauer und hartnäckiger in der Recherche werden“. Aber Genauigkeit sei nicht alles.

Auch Fairness spiele angesichts dessen, was derzeit im Internet bis hin zur Volksverhetzung ablaufe, eine immer größere Rolle. „Wenn wir Geschichten enthüllen, dann sollen die Betroffenen hinterher sagen können: Ihr habt mich zwar in die Pfanne gehauen, aber das hat alles gestimmt, was ihr über mich geschrieben habt. Und ihr habt mich auch rechtzeitig gefragt“. Manchmal gehöre dazu auch, einen Informanten vor sich selbst zu schützen.

Ob es seine Eitelkeit verletze, wenn sein Name nicht allein unter einer Topstory stehe, fragte Moderator Michael Busch. Wenn man etwas Bodenhaftung habe und Teamwork schätze, sei die Arbeit in einem Recherchebündnis eine wunderbare Sache, versicherte der SZ-Journalist. „Das schöne Leben hängt für mich nicht davon ab, dass ich jeden Tag auf der Seite Eins der SZ stehe“.

Gute lokale Geschichten als Sahnehäubchen
Welche Rolle spielen derartige Rechercheeinheiten in der Region? Folger Quack, Leitender Redakteur und Mitglied der Chefredaktion Mediengruppe Main-Post, sagte beim BJV-Streitgespräch, er halte nicht mehr viel von der publizistischen Selbständigkeit einer Lokal- oder Regionalzeitung. „Ich glaube, dass es erst im Verbund möglich wird, dem Leser Qualitätsjournalismus anzubieten, zumindest ist es einfacher“.

Die Main-Post als regionale Tageszeitung verfüge heute national und international über einen Pool an Korrespondenten: Diese arbeiteten zwar auch für andere Zeitungen, lieferten aber aktuelle Hintergründe über die Agenturmeldungen hinaus. „Wir wollen dem Leser damit ein Stück weit die Welt erklären, weil wir die Grundversorgung in der Region bieten und damit eine Rolle spielen, der wir auch gerecht werden müssen.“

Den Finger in der Region in die Wunde legen
Wenn eine regionale Zeitung dann noch als Sahnehäubchen mit den eigenen Leuten gute lokale Geschichten kreiere, dann sei das besser „als herumzukrebsen, immer mehr einzusparen und die Qualität immer schlechter werden zu lassen“.

Die Main-Post hätte nicht den Anspruch, Skandale in der Landes- oder Bundespolitik aufzudecken dafür seien andere da. Aber: „Wir haben den Anspruch, wenn etwas in der Region passiert, da den Finger in die Wunde zu legen“. Dafür habe man seit einigen Jahren einen Reporterpool aus acht Journalisten geschaffen, dessen Aufgabe es sei, Relevantes in der Region zu recherchieren und die Bundespolitik herunter zu brechen.

Welche Rolle spielt Geld bei der investigativen Recherche? BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb hätte gern einen Klaus Ott in der ihm direkt unterstellten Rechercheeinheit, „aber den kann ich mir nicht leisten“ Ott lächelte: „Sie haben ja noch gar keinen Versuch gemacht!“.

Der BR müsse zwar sparen, aber Geld sei nicht alles, man müsse auch einen Blick für erstklassiges Personal haben und in der Struktur des Medienunternehmens „den Faktor Zeit einbauen“. Neues Personal habe der BR für seine seit 1. Februar neu geschaffene Recherche-Einheit nicht eingekauft, sondern „in Bereichen umgebaut, wo es uns journalistisch nicht mehr so notwendig erschien“.

Das neue Team sorgt nun dafür, dass sich Sigmund Gottlieb nicht mehr länger darüber ärgern muss, dass Berichte im Rundschau-Magazin mit den Worten „Nach Informationen der Welt oder der Süddeutschen Zeitung“ beginnen, „weil wir dazu bisher nicht mit eigenen Recherchen in der Lage waren“. Schließlich sei die investigative Recherche die Königsdisziplin im Journalismus.  

Maria Goblirsch

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