Kassar Marie würde gerne wieder in seiner Heimat als Journalist arbeiten. Dort wäre er aber seines Lebens nicht sicher
Foto: Hans von Draminski

Bezirksverband Nordbayern-Franken

„Ich habe keine Angst“

In seiner Heimat Syrien droht dem geflohenen Journalist Kassar Marie die Ermordung

Nürnberg, 12.12.2018

„Ich will kein Pseudonym benutzen. Ich habe keine Angst.“ Der Journalist, der das sagt, Kassar Marie, hätte allen Grund zur Vorsicht.

Vor drei Jahren musste er seine Heimatstadt Al-Hasakeh in Nordsyrien verlassen, weil die Geheimpolizei bereits ein Dossier über ihn angelegt und seine Umgebung ausgefragt hatte. Sein Bruder bestand darauf, dass der stadtbekannte Redakteur floh. Schließlich waren schon viele Journalisten im syrischen Bürgerkrieg umgebracht worden, laut Reporter ohne Grenzen bereits 130.

Jetzt sitzt Kassar Marie im Marmorsaal des Nürnberger Presseclubs und erzählt den vielen interessierten deutschen Kollegen von seiner Flucht, von den Arbeitsbedingungen in der Heimat, vom Praktikum bei den Nordbayerischen Nachrichten.

Dort hat er seine Deutschkenntnisse verfeinert und viel geschrieben. Auch über Politik. Denn, obwohl er das nicht explizit sagt, argumentiert er nach dem Motto: Ein Journalist hat das persönliche Wohl hintanzusetzen.

Kritik nur indirekt möglich
Das hat er schon in Syrien getan und immer wieder Kritik geübt. Allerdings indirekt oder ironisch verpackt. Denn wer Missstände offen anprangert, wird umgehend entlassen.

Greift er die Regierung oder gar Diktator Baschar Hafiz al-Assad an, ist er seines Lebens nicht mehr sicher. Die Hintertürchen funktionierten nur, weil, versichert Kassar Marie, die Zensoren geistig nicht besonders helle seien und es meist genüge, ihnen zu versichern, dass man nichts gegen die Regierung habe. „Du kannst alles schreiben, nur nicht Kritik üben“, beschreibt der Syrer die Lage seiner Kollegen.

Er selbst hatte vier Jahre Medien studiert in der Hauptstadt Damaskus. Journalist wollte er werden, um den Menschen in der Diktatur eine Stimme zu geben. Immerhin brachte er es zum Redaktionsleiter einer Online-Zeitung, erhielt sogar Auszeichnungen.

Eines Tages beschwerte sich der für seinen Bezirk zuständige Gouverneur beim Verleger; prompt wurde Kassar Marie degradiert. „Ganz normal in Syrien“, stellt er dazu fest.

Soziale Netzwerke als wichtigste Informationsquelle
Es gebe noch viele nominell unabhängige Medien in seiner Heimat, berichtet Kassar Marie. Sie dürften sich aber nur dem lokalen Geschehen widmen. Auch wünsche die Regierung keine Berichterstattung durch Ausländer, höchstens Russen und Iraner.

Selbst der arabische Sender Al Jazeera habe keine eigenen Leute in Syrien, sondern informiere sich über die sozialen Medien. Die Netzwerke seien die wichtigste Informationsquelle derzeit.

Abenteuerliche Flucht
Als die Geheimpolizei Kassar Marie ins Visier nahm, floh er in die Türkei. Zur weiteren Flucht, in einem kleinen Boot von Izmir auf eine der griechischen Inseln, musste er auch er sich türkischen Schleppern anvertrauen. „Die sind ständig bewaffnet, aufbegehren ist sinnlos.“

In Griechenland erhielten er, seine Frau und die drei Kinder von einer UN-Mitarbeiterin Papiere. Dann ging die Flucht per Bus und Zug weiter bis Passau. Nach der Registrierung lebte die Familie 26 Tage in Schweinfurt, anschließend zwei Jahre in einem Zimmer in Fürth.

In der Heimat droht der Tod
Kassar Marie möchte in seine Heimat zurück. Derzeit ist das unmöglich, er müsste mit seiner Ermordung rechnen. Die politischen Verhältnisse in Syrien würden sich nur ändern, wenn der Diktator und seine Familie das Land verließen und die Großmächte sich nicht mehr einmischten, ist der Journalist überzeugt. Wann das der Fall ist, wisse nur Allah oder Wladimir Putin, meint er sarkastisch.

Journalistisches Projekt für Flüchtlinge geplant
Mit 40 Jahren steht er mitten im Leben und möchte weiter als Journalist arbeiten. Kassar Marie dankt allen, die ihm bisher geholfen haben, vor allem den Kollegen von den Nordbayerischen Nachrichten.

Die versichern prompt, dass er ungeheuer fleißig sei, man aber den ehemaligen Redaktionsleiter die sechs Wochen nur habe als Praktikant beschäftigen können. Jetzt hoffen alle, dass sie es gemeinsam schaffen, über Fördertöpfe ein journalistisches Projekt ins Leben zu rufen, das bestehende Netzwerke für Flüchtlinge aus dem arabischen Raum verbindet.

Kassar Marie würde sich liebend gerne dafür total engagieren, denn, wie er an diesem Abend mehrfach betont, „Angst habe ich keine“.   

Michael Anger

Schlagworte:

Migration

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