„Farbe bekennen“: Gut zwei Stunden dauerte das BJV-Hintergrundgespräch mit Thomas Baumann
Foto: Maria Goblirsch

BJV-Landesvorstand

„Im Grunde meines Herzens bin ich Journalist geblieben“

In einem Hintergrundgespräch stellte sich ARD-Chefredakteur Thomas Baumann den Fragen der BJV-Kollegen

München, 02.06.2016

„Farbe bekennen“ müssen Politiker, wenn sie von ARD-Chefredakteur Thomas Baumann und Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, in der gleichnamigen ARD-Sondersendung befragt werden. Am Dienstag stellte sich Baumann den Fragen des BJV-Landesvorsitzenden Michael Busch und seiner Stellvertreterin Dr. Hilde Stadler. 35 KollegInnen besuchten die Gesprächsrunde im Münchner Kolping-Tagungszentrum. Da es sich um ein Hintergrundgespräch handelte publizieren wir nur Auszüge daraus.

Deutschland als Europameister 2016
Im Juli 2016 wechselt Baumann nach Berlin als stellvertretender Chefredakteur Fernsehen und stellvertretender Studioleiter des ARD-Hauptstadtstudios. In die Zukunft und die Bundeshauptstadt richtete sich auch gleich die erste Frage von Michael Busch: „Wir schreiben den 10. Juli 2016, das EM-Endspiel hat stattgefunden – Deutschland besiegt Österreich und ist damit Europameister. Am Montag, 11. Juli, feiert der DFB diesen Titel mit Tausenden Fans am Brandenburger Tor in Berlin. Jetzt möchte der DFB von der ARD eine Beteiligung an den Kosten für die Sicherheit. Was sagen Sie denen?“

„Nein!“, antwortete Baumann sofort. Es handele sich um öffentliche Plätze und der DFB als Veranstalter habe schließlich auch ein Interesse daran, dass Medien über solche Ereignisse berichten. Obendrein seien solche Übertragungen „ohnehin schon teuer genug“, sagte Baumann, der auch als stellvertretender Programmdirektor für die Koordination Politik, Kultur und Gesellschaft innerhalb der ARD zuständig ist.

Journalist, Manager und Diplomat
„Sie sind Journalist, Sie sind Manager und Sie sind auch – so würde ich Sie bezeichnen – Diplomat. Was war für Sie das Schwierigste dabei?“, fragte Hilde Stadler. „Die Management-Aufgabe, die mit Diplomatie einhergeht ist das Schwierigste. Trotzdem habe ich das sehr gerne gemacht. Aber im Grunde meines Herzens bin ich Journalist geblieben“, antwortete Baumann.

Aufgewachsen an der Zonengrenze
Sein Geburtsort Hof, damals noch an der Zonengrenze gelegen, habe zu seiner Entscheidung Journalist zu werden, beigetragen, schilderte Stadler aus Baumanns Vita und bat ihn, dies zu vertiefen.

Baumann erzählte, dass sich sein Elternhaus in Marktredwitz direkt an der Grenze zur damaligen CSSR befand. Als siebenjähriges Kind ängstigten ihn im August 1968 der Aufmarsch sowjetischer Panzer auf der tschechischen Seite über Wochen. Baumann schilderte die aufgeregte Atmosphäre: „Ich spürte da – auch als Kind –, dass da etwas ganz Großes passiert“.

Ebenso einschneidend sei für ihn 1989 der Mauerfall gewesen. Damals arbeitete er beim Bayerischen Fernsehen in München. „Es war für uns, die die Grenze unmittelbar erlebt hatten, etwas Unglaubliches“, berichtete Baumann. Er fasste einen Entschluß: „Jetzt ist es für mich als Journalist in München überhaupt nicht spannend, du musst jetzt dorthin gehen, wo die Musik spielt“.

Und die spielte für ihn ab 1991 in Sachsen. Als klar war, dass in den neuen Bundesländern neue Sender entstehen würden, bewarb er sich „augenblicklich“ beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR).

Von 1991 bis 1994 baute er in Dresden die TV-Nachrichtenredaktion des neuen Senders auf. Es sei eine „tolle Erfahrung“ gewesen, unter „schwierigen Umständen und mit völlig neuen Leuten“. Der MDR, bei dem er den Mitarbeiterausweis mit der Nummer Sechs hat, ist heute noch sein Stammsender innerhalb der ARD.

Eurozentrische Berichterstattung?
Zur Kritik, dass die ARD eine zu eurozentrische und auch zu sehr auf die USA fokussierte Berichterstattung betreibe, sagte Baumann unter anderem, dass sein Sender und das ZDF neben Teilen der BBC und Danmarks Radio, die umfangreichste Auslandsberichterstattung böten. Dies sei auch statistisch nachweisbar.

Baumann ergänzte: „Vor allem in den Sendungen „Tagesschau“, „Tagesthemen“ und „Weltspiegel“ wird sehr wohl umfangreich über Ereignisse in Asien, Afrika und Lateinamerika berichtet. So ist das Amtsenthebungsverfahren gegen die brasilianische Präsidentin Rousseff kürzlich der Aufmacher in der „Tagesschau“ gewesen.“

Kritik am Sprachstil der Nachrichtensendungen
„Wir bemühen uns, ‚Politikersprech‘ zu vermeiden, ob uns das immer gelingt, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein“, erklärte Baumann. Als Negativbeispiel erwähnte er „Die schwarze Null“. „Wenn so etwas passiert, dann reden wir darüber, analysieren das und versuchen, dass so etwas nicht mehr vorkommt“. Andererseits könne man, was die Sprache angehe, „nie eine Festlegung treffen, die für alle Tage besteht“.

Vertrauensbeweis des Publikums
„Was mich seit Monaten maßlos ärgert ist, dass der Begriff der ‚Lügenpresse‘ doch relativ viel Widerhall in unserem Land findet. Journalismus ist ein Handwerk. Und Handwerkern passieren leider auch Fehler. Aber ‚Lügenpresse‘ insinuiert, dass Journalisten mit Vorsatz falsch berichteten. Das ist nicht der Fall. Hier muss man die Kolleginnen und Kollegen in Schutz nehmen.“

„In Zeiten, in denen angeblich vom Publikum immer weniger Information gewünscht wird, in Zeiten, in denen von ‚Lügenpresse‘ geredet wird – ist die Tagesschau um 20 Uhr die Informationssendung des deutschen Fernsehens! Wir hatten im Jahr 2013 8,87 Millionen Zuschauer im Schnitt für eine Hauptausgabe der Tagesschau, 2014: 8,96 Mio., 2015: 9,12 Mio. und in den ersten fünf Monaten dieses Jahres haben wir 10,63 Millionen Zuschauer. Das ist auch ein Vertrauensbeweis des Publikums.“

Zur Person
Thomas Baumann (Jahrgang 1961) war bereits während seines Politologiestudiums in München als Sportreporter für die tz tätig und als freier Mitarbeiter für BR-Radio. Danach arbeitete er beim BR-Fernsehen für diverse Nachrichtensendungen, bevor er zum Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) nach Dresden wechselte und dort die Fernseh-Nachrichtenredaktion aufbaute und leitete.

Von 1994 bis 1998 berichtete er als Auslandskorrespondent und Leiter des ARD-Studios in Prag aus Tschechien und der Slowakei.

Seit Juli 2006 ist Baumann ARD-Chefredakteur. Gleichzeitig zählt er zur Riege der Tagesthemen-Kommentatoren und moderiert Wahlsendungen sowie ARD-Brennpunkte. Ab Juli 2016 arbeitet Thomas Baumann in Berlin als stellvertretender Chefredakteur Fernsehen und stellvertretender Studioleiter des ARD-Hauptstadtstudios.

Thomas Mrazek

Schlagworte:

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