Nadeschda Aschgichina: „Sprechen oder nicht Sprechen ist manchmal wichtiger als Sein oder Nichtsein“
Foto: Hilde Stadler

BJV-Landesvorstand

Kritik kann den Job oder das Leben kosten

Gespräch mit Nadeschda Aschgichina, Vorsitzende des Russischen Journalistenverbandes

München, 02.02.2016

„Nach der Veröffentlichung kritischer Artikel werde ich regelmäßig als ‚unpatriotisch‘ beschimpft“, berichtet die Journalistin Nadeschda Aschgichina, die gleichzeitig auch Vorsitzende des Russischen Journalistenverbandes und Vizepräsidentin der Europäischen Journalisten Föderation (EFJ) ist, bei unserem Treffen in Moskau Anfang Dezember 2015.

Ich frage nach, ob sie nicht Angst vor tätlichen Angriffen habe, nachdem einige russische Journalisten ihre kritische Berichterstattung mit dem Leben bezahlen mussten? Sie lächelt und erzählt von ihrem Mann Juri Schtschekotschichin, der 2003 unter ungeklärten Umständen mit 53 Jahren starb. Er war Chefredakteur der kremlkritischen Zeitung Nowaja Gaseta und Mentor der bekannten Journalistin Anna Politkowskaja, die 2006 erschossen wurde.

Ihr Mann, sagt Aschgichina, sei durch seinen Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen sowie seine Kritik am Zweiten Tschetschenienkrieg einer der Wortführer der demokratischen Opposition geworden. Seiner Maxime „Sprechen oder nicht Sprechen ist manchmal wichtiger als Sein oder Nichtsein“ fühle auch sie sich als Journalistin verpflichtet, Angst hin oder her. Mir verschlägt es erst einmal die Sprache angesichts ihrer Worte.

Massive wirtschaftliche Probleme für Journalisten
Nadeschda Aschgichina fährt fort, über die prekären Arbeitsbedingungen russischer Journalisten zu berichten. Jenseits des politischen Drucks gebe es große finanzielle Probleme, mit denen viele Redaktionen gerade in der Provinz zu kämpfen hätten.

Angesichts dieser schwierigen Rahmenbedingungen sei sie besonders stolz auf die Rechercheerfolge investigativer Journalisten. So gelang es Reportern in der russischen Republik Altai trotz massiver Drohungen, einen Umweltskandal aufzudecken und zu erreichen, dass die Verantwortlichen bestraft wurden.

Steigender Frauenanteil
Dabei seien die Löhne von Journalisten oftmals so niedrig, dass sie kaum davon leben könnten. Die Folge: In kleineren Zeitungen in der Region sind immer mehr Reporterinnen und Redakteurinnen tätig. Denn Männer würden eine so geringe Entlohnung meist nicht akzeptieren.

Beim Nachwuchs bilden Journalistinnen inzwischen sogar die große Mehrheit. Mehr als 90 Prozent der Studenten an der Moskauer Journalistenakademie, an der Aschgichina noch als Dozentin unterrichtet, sind junge Frauen.

Ich weise darauf hin, dass auch in Deutschland die Mehrzahl der Journalistik-Studenten und Volontäre inzwischen weiblich ist und Journalistinnen im Durchschnitt weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen.

Nadeschda Aschgichina stellt fest, dass es trotz einiger Unterschiede offenbar auch eine Reihe von Parallelen zwischen der Situation von Journalisten in Russland und Deutschland gebe. Und sie äußert einen Wunsch: „Es wäre schön, wenn wir in Kontakt blieben und ein regelmäßiger Austausch zwischen unseren Journalistenverbänden stattfinden könnte!“

Hilde Stadler

Hintergrund
Nach Angaben des Russischen Journalistenverbandes wurden in den vergangenen 20 Jahren mehr als 341 Journalisten getötet. Das Hintergrundgespräch mit Nadeschda Aschgichina fand Anfang Dezember 2015 in Moskau statt im Rahmen eines deutsch-russischen Dialogs über Zivilgesellschaft, zu dem die Hanns Seidel Stiftung eingeladen hatte. Teilnehmer waren der Geschäftsführer des Freiwilligen-Zentrums Augsburg, Wolfgang Krell; die CSU-Landtagsabgeordneten Carolina Trautner und Dr. Gerhard Hopp sowie die stellvertretende BJV-Vorsitzende Dr. Hilde Stadler.

Reporter ohne Grenzen (RoG): Russland
Rangliste der Pressefreiheit: Platz 152 von 180
„Seit der Wahl Wladimir Putins im Jahr 2000 zum russischen Präsidenten hat der Kreml die landesweiten Fernsehsender weitgehend unter seine Kontrolle gebracht. Kritische Medien (…) geraten regelmäßig unter Druck, Journalisten müssen mit Gewalt oder gezielten Anschlägen rechnen, die meist straffrei bleiben (…).“
Quelle: Reporter ohne Grenzen, Länderportal Russland

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