Hier funktionierte der Dialog mit dem Publikum (auf dem Bild von links nach rechts): Markus Paul, Alexander Jungkunz, Ulrich Rach, Gerhard Kockert und Michael Busch
Foto: Michael Alban

BJV-Landesvorstand

Zwischen Aggression, Medienverdruss und Verschwörungstheorien

Journalismus in Zeiten von wachsendem Extremismus – Podiumsdiskussion in Ansbach

Ansbach, 17.12.2015

Hasserfüllte Kommentare in sozialen Netzwerken, tätliche Angriffe auf Berichterstatter am Rande von Demonstrationen und eine ganze Branche unter dem Generalverdacht „Lügenpresse“: Das Klima der politischen Diskussion in diesem Land hat sich aufgeheizt; Journalisten geraten, wenn es um Reizthemen wie die Flüchtlingssituation geht, immer öfter zwischen die Fronten.

„Extremismus in Deutschland: was dürfen die Medien?“ lautete das Thema einer Podiumsdiskussion an der Hochschule in Ansbach. Der BJV-Vorsitzende Michael Busch diskutierte mit.

Behinderung von Fotografen
„Das ist doch absurd: Pegida fordert Demonstrationsfreiheit, torpediert aber gleichzeitig die Pressefreiheit.“ Busch machte kein Hehl daraus, dass jegliche Behinderung journalistischer Arbeit, etwa durch das bei „Wutbürger“-Aufmärschen weit verbreitete Blenden von Fotografen, für ihn kein Kavaliersdelikt ist. Ebenso wenig akzeptabel sei, dass die Polizei bei solchen Anlässen bisweilen wenig Interesse zeige, Journalisten ein unbehelligtes Arbeiten zu ermöglichen.

Keine Diskussion möglich
Und ein weiteres Phänomen schilderte Busch: Wer „Lügenpresse“ skandiere, habe meist wenig Lust, über seine Beweggründe zu sprechen. „Diskussion zwecklos – sämtliche Versuche haben zu nichts geführt“, berichtete der Redakteur aus eigener Erfahrung.

Eine Einschätzung, die Gerhard Kockert, Leiter der Fernsehredaktion Aktuelles und Multimedia im Studio Franken des Bayerischen Rundfunks, teilt: „Mit den Leuten ins Gespräch kommen zu wollen führt nicht sehr weit.“ Alexander Jungkunz, stellvertretender Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten (NN)und Leiter der Politik-Redaktion, bedauert: „Eine wachsende Zahl von Lesern lässt sich auf einen Dialog nicht mehr ein. Die wollen nicht mit uns reden.“

Faktenchecks funktionieren nicht
Nach Ansicht von Prof. Dr. Markus Paul vom Studiengang Ressortjournalismus an der Hochschule Ansbach ist das ein Auswuchs eines um sich greifenden Glaubwürdigkeitsverlustes. Nur noch ein Drittel der Bevölkerung habe großes Vertrauen in die Medien. Paul sprach von einem „radikalisierten Medienverdruss“, der immer öfter in Verschwörungstheorien münde: „An diese Leute kommen wir selbst mit den schönsten Faktenchecks nicht mehr ran.“ Von einem „wuchernden Subuniversum mit einfachen Wahrheiten“ sprach in diesem Zusammenhang Jungkunz.

„Asoziale Medien“
Das findet sich vor allem im Internet – in den „asozialen Medien“, wie Jungkunz sagte. Facebook-Debatten zu moderieren bedeute für Redaktionen inzwischen sehr viel Arbeit und Aufwand, berichtete der NN-Vize, und Gerhard Kockert pflichtete ihm bei: „Die Auseinandersetzung mit Kommentaren in Foren sprengt inzwischen den Rahmen; das ist schlicht ein Ressourcenproblem.“ Was im Netz an Hassparolen verbreitet werde, sei aus seiner Sicht sehr bedenklich. Wenn strafrechtlich relevant, dürfe man sich nicht scheuen, Strafanzeige zu erstatten, lautete sein Appell.

„Publizierungsgebot als hypokratischer Eid“
Doch wie sieht es mit der Berichterstattung über eskalierenden Extremismus, über verrohende Sitten im Umgang mit Andersdenkenden, aus? Gibt es Grenzen – und täte ein wenig „demokratische Gelassenheit“ manchmal gut, wollte Moderator Ulrich Rach, selbst Journalist, wissen. „Wir müssen zeigen, wes Geistes Kind solche Menschen sind“, appellierte Professor Paul: „Das Publizierungsgebot ist quasi unser hypokratischer Eid.“

Allerdings müsse man bedenken, dass eine Berichterstattung für die Täter „wie eine Prämie“ wirken und Nachahmer herausfordern könne. „Das ist sehr zwiespältig“, gab der Experte zu bedenken. Die ethische Diskussion darüber sei vergleichbar mit der über den Umgang mit Suizid-Fällen, sagte Michael Busch. Die Grenzen der Berichterstattung beschreibe der Pressekodex sehr genau, hob er hervor.

„Wir bringen auch drastische Botschaften, denn wir wollen uns nicht dem Vorwurf aussetzen, etwas zu verschweigen“, schilderte Jungkunz die Praxis seiner Zeitung: „Sonst würden wir unglaubwürdig.“ Wichtig sei es, dass Journalisten analysieren, einordnen und relativieren. „Und dass sie die Wirklichkeit abbilden“, ergänzte Busch.

Einseitige Berichterstattung?
Dass sie dies hinreichend ausgewogen tun, daran meldeten einige der gut 100 Zuhörer Zweifel an. Doch den Vorwurf einseitiger Berichterstattung wiesen alle fünf Herren auf dem Podium entschieden zurück und verwiesen auf das breite Spektrum verschiedener Meinungen in der deutschen Medienlandschaft. Die Frage nach einer politischen Einflussnahme auf Redaktionen konterte Alexander Jungkunz mit dem Satz: „Von einer verordneten Linie auch nur zu raunen halte ich für abenteuerlich.“

Medienkompetenz von Kindesbeinen an
Und auch in einem weiteren Punkt war sich die Runde – auf dem von der mittelfränkischen Bürgerbewegung für Menschenwürde organisierten Podium – am Ende völlig einig: In einer Zeit des medialen Wandels führe an Medienerziehung von Kindesbeinen an kein Weg vorbei. Den Umgang mit einem immer vielfältigeren Medienangebot „muss man lernen“, hob der Hochschulprofessor hervor. Ein entsprechendes Schulfach, das der BJV seit Jahren fordert, „brauchen wir dringendst“.

Wolfgang Grebenhof

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