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Diskussion zur aktuellen Lage von Wissenschaftler/innen, Journalist/innen und Schriftsteller/innen in der Türkei
(von links): E. Topcu (Moderatorin), Y. Karakasoglu (Uni Bremen), Cetin Gürer (Uni Bremen), Hilde Stadler, R. Karadag (Uni Bremen) und Turgay Dogan, Schauspieler
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privat

BJV-Landesvorstand

Repressionen in der Türkei – Wiedersehen an der Weser

Stellvertretende BJV-Vorsitzende Hilde Stadler berichtet über ihre Teilnahme an einer Podiumsdiskussion

Bremen, München, 11.11.2016

Wie wirkt sich der Ausnahmezustand in der Türkei auf Wissenschaftler, Journalisten und Künstler aus? Das schilderten Betroffene detailliert und anschaulich bei einer Podiumsdiskussion in Bremen im Rahmen des Literaturfestivals globale.

So wie der Schauspieler und Regisseur Turgay Dogan, der betonte, dass es in der Türkei nicht erst seit dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 Repressionen gegen politisch Andersdenkende gebe. Seine Theatergruppe in Istanbul hat „allein aufgrund ihres Namens das Missfallen mancher konservativer AKP-Getreuer erregt“, denn gnelev, kurz für genel ev, heißt übersetzt Bordell.

Der Soziologe Cetin Gürer hatte im Januar 2016 einen Friedensappell an den türkischen Staat mit unterzeichnet, in dem mehr als 1100 Akademiker „ein Ende der Vernichtungs- und Vertreibungspolitik in den Kurdengebieten“ forderten. Die vier Organisatoren wurden wegen Terrorpropaganda verhaftet, gegen die Mitunterzeichner Sanktionen verhängt. Im Februar 2016 erhielt Gürer die Kündigung von seiner Universität in Istanbul.

Brain Drain in der Türkei
Am 22. April, als der Prozess gegen die vier angeklagten Akademiker in Istanbul begann, erzählte ich ihre und Cetin Gürers Geschichte in den ARD-Tagesthemen. Ihm bleibe keine andere Wahl, als die Türkei zu verlassen, sagte Gürer. Er habe sich an einer deutschen Universität beworben. Mein Fazit im April: Der Türkei könnte ein Brain Drain, der Verlust intellektueller Kompetenz drohen.

Nach dem Putschversuch am 15. Juli beschuldigt die türkische Regierung den Prediger Fethullah Gülen und seine Hizmet-Bewegung als Drahtzieher und ruft den Ausnahmezustand aus. Staatspräsident Erdogan kündigt an, das Land „von Terroristen, wie den Gülenisten und der PKK, zu säubern“. Am 24. August startet die türkische Armee mit ihrer Operation „Schutzschild Euphrat“ eine Militäroffensive in Nordsyrien, die sich gegen IS-Terroristen und gegen die von den USA unterstützten syrischen Kurdenmilizen YPG richtet.

190 Medienhäuser geschlossen
Mittlerweile wurden etwa 110.000 Staatsbedienstete entlassen oder suspendiert, etliche Schulen, einige Universitäten und 190 Medienhäuser geschlossen. Mehr als 35.000 Menschen sitzen im Gefängnis: Lehrer, Professoren, Staatsanwälte, Richter, Soldaten, Journalisten. Vergangene Woche wurden Dutzende Abgeordnete der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP verhaftet.

Am 9. November veröffentlichte die EU-Kommission ihren jährlichen Fortschrittsbericht zur Türkei. Auf 120 Seiten werden dem Beitrittskandidaten schwerwiegende Rückschritte bei der Rechtsstaatlichkeit und der Meinungsfreiheit attestiert.

Am gleichen Abend sitzen Cetin Gürer und ich zusammen auf dem Podium in Bremen. Zufällig hatten die Veranstalter uns beide zu dieser Diskussion eingeladen. Gürer hat inzwischen an der Uni Bremen ein Stipendium erhalten, kann dort im nächsten Semester als Dozent unterrichten. Mein Fazit im November: In der Türkei vollzieht sich ein Brain Drain, der in Deutschland als Brain Gain sichtbar wird.

Derweil gibt es ständig neue negative aus der Türkei, Tagesschau.de meldet am 11.11.2016, dass der Herausgeber der Tageszeitung Cumhuriyet festgenommen wurde. Erst vergangene Woche wurden neun Mitarbeiter des Blattes inhaftiert.

Hilde Stadler

Schlagworte:

Türkei | Pressefreiheit

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