Solidaritätsbekundung an der Straßburger ARTE-Zentrale
Foto: Maria Goblirsch

Aktuell

Senden, was die Menschen in Europa bewegt

BJV-KollegInnen besuchen ARTE-Zentrale in Straßburg

Straßburg, München, 17.03.2015

Auf dem Vorplatz der ARTE Zentrale am Straßburger Quai Chanoine Winterer steht der Giraffenmann auf einem Hocker. Eine in schwarze Hose und weißes Hemd gekleidete Figur mit dem Hals und Kopf einer Giraffe. Die „Homme – girafe“, wie das Werk von Stefan Balkenhol im Original heißt, entstand 2006 im Auftrag von ARTE und dem Centre Européen d'Actions Artistiques.

Der tierische Mensch überragt die Mitarbeiter und Besucher des Senders um gut das Dreifache und soll das friedliche Nebeneinander von Vertrautem und Fremdartigem symbolisieren. Er steht längst als Wahrzeichen für ein außergewöhnliches europäisches Fernsehprojekt, das sich heute mit seinem linearen Angebot und drei Online-Plattformen an alle „weltoffenen und neugierigen Bürger in Europa“ wendet. Mit dem Ziel, Mauern in den Köpfen abzubauen, damit sich Europäer couragiert eine gemeinsame Zukunft schaffen.

Ein einzigartiges Phänomen in Europa
Vieles ist anders bei ARTE, dem öffentlich-rechtlichen, europäischen Fernsehkulturkanal mit zweisprachiger Ausstrahlung, erfuhren die 14 BJV-Teilnehmer des ARTE-Informationstages am 9. März 2015 in Straßburg an einigen Beispielen. So sei ARTE der einzige Sender weltweit, der auf einem internationalen völkerrechtlichen Vertrag beruhe, erläuterte ARTE-Justiziar Dr. Axel Bussek.

Frankreich und die deutschen Bundesländer, die nach dem Grundgesetz für den Rundfunk in Deutschland zuständig sind, hätten 1990 am Vortag der deutschen Wiedervereinigung den Gründungsvertrag unterzeichnet. Ein Jahr später sei dann der Rechtsstatus und die Finanzierung von ARTE zu 95 Prozent durch Rundfunkbeiträge aus beiden Ländern festgelegt worden. Die Strukturen des Senders spiegeln die Organisation des Rundfunks in beiden Ländern wider: zentralisiert und geprägt durch den traditionellen Interventionismus in Frankreich, dezentralisiert, staatsfern und mit einem großen Unabhängigkeitsstreben in Deutschland.

Entscheidend sei aber laut Bussek folgendes: ARTE ist autonom, regelt seine Finanzen selbst und unterliegt auch nicht den Kontrolle der Rechnungshöfe. Der öffentlich-rechtliche Sender finanziert sich, wie der Justiziar beim Informationstag erklärte, zu 95 Prozent über den in Deutschland und Frankreich erhobenen Rundfunkbeitrag („Mediengebühr“) und ist werbefrei. Das Programm wird europaweit empfangen, Kooperationen und der Programmaustausch laufen mit vielen öffentlich-rechtlichen Sendern in Europa.

Der Franzose schaut später Nachrichten
Der Sender setzt sich aus der Zentrale ARTE G.E.I.E. und den beiden Mitgliedern ARTE France und der ARTE Deutschland TV GmbH zusammen. Die Straßburger Zentrale entscheidet über Programm-Strategie, -Konzeption und -Planung und ist für die Ausstrahlung der Sendungen, die Programmpräsentation und die Sprachbearbeitung zuständig.

Wie das alles täglich umgesetzt wird, konnte die BJV-Gruppe bei einem Rundgang durch Studios und die Senderegie beobachten. Elke Blocher, Kommunikationsbeauftragte Presse und PR bei ARTE, berichtete dabei von den unterschiedlichen Sehgewohnheiten und „Primetimes“ in Frankreich (20.50 Uhr) und Deutschland (20.15 Uhr), auf die man das Informationsangebot sowie das Programmschema jeweils getrennt abstelle. So laufen beispielsweise auch „das klassische Kino“ mit Meistern der Filmgeschichte oder modernen Klassikern sowie „das moderne Kino“ zu dieser Hauptsendezeit.

Doch nur Fernsehen allein war gestern, heißt es bei ARTE. Wie Elke Blocher erläuterte, bietet ARTE ein vielfältiges Internet-Angebot auf www.arte.tv. Abgestimmt auf das TV-Programm des Senders bereichern die Online-Plattformen ARTE-Future, ARTE Concert und ARTE Creative das Angebot. Mit Web-Dokumentationen, Büchern, DVDs und Kulturveranstaltungen spricht der Sender Zuschauer an, die längst auch Internet-Nutzer, Leser, Festivalbesucher oder Kinogänger sind.

Frauenquote überflüssig: 60 Prozent der ARTE-Mitarbeiter sind weiblich
In einem andern Bereich könnte ARTE Vorbild für deutsche Sender sein: Von den 430 Mitarbeitern in Straßburg sind mehr als die Hälfte Frauen (60 Prozent). Der Anteil der französischen Kolleginnen und Kollegen ist etwas größer, da viele der Jobs in Verwaltung oder Technik aus der Region Straßburg besetzt werden.

Was die Besucher zunächst verwunderte: Von den 430 Mitarbeitern sind nur etwa 50 fest angestellte Journalisten, dazu kommen freie Journalisten und freie Mitarbeiter wie auch Dienstleister. Ein Blick auf die ARTE-Strukturen löst das Rätsel: Viele Beiträge werden von Redakteuren und Freien der Kooperationspartner wie ARD oder ZDF produziert und zugeliefert oder laufen über den Programmaustausch.

Arbeitssprachen sind Deutsch und Französisch. Jedes Papier, jeder Text durchläuft drei Stufen bei ARTE: Es wird zunächst in der Originalsprache des Autors verfasst, anschließend im Sprachendienst übersetzt und dann noch einmal vom Verfasser verifiziert – ein gigantischer Aufwand.

Über eine Millionen Menschen gefällt ARTE bei Facebook
Über soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, Youtube, Dailymotion und Google+ steht ARTE im Dialog mit den Zuschauern, beantwortet Fragen und twittert live von Veranstaltungen, berichtete Community Manager Johannes Schlatterbeck. Er beschrieb, welche wichtige Rolle die sozialen Netzwerke heute in den Marketingkonzepten des Senders einnähmen. Immerhin 1,1 Millionen Nutzern gefällt ARTE bei Facebook. Über ARTE Info (Nachrichten) und ARTE Reportage gab im Anschluss Uwe Lothar Müller, stellvertretender Abteilungsleiter von ARTE Reportage, einen Überblick.

Dass sich die BJV-Vertreter nach 2014 auch in diesem Jahr wieder über ARTE vor Ort informieren konnten, geht auf die Initiative des langjährigen BJV-Vorsitzenden Dr. Wolfgang Stöckel zurück. Er steht als Vorsitzender an der Spitze des Programmbeirats des Senders. Dieses Gremium tagt, wie Stöckel den BJV-Besuchern erläuterte, vierteljährlich und berät den ARTE-Vorstand und die Mitgliederversammlung in Programmfragen. Deutschland und Frankreich entsenden jeweils acht Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Politik in dieses Gremium. An der Spitze des Programmbeirats wird Stöckel von Monique Veaute vertreten – eine ARTE-typische Besetzung: Alle Gremien sind bilateral besetzt. Steht an der Spitze ein Franzose, kommt die Stellvertretung aus Deutschland und umgekehrt.

Wolfgang Stöckel informierte über die Gremienarbeit und lüftete beim gemeinsamen Mittagsbuffet ein weiteres Geheimnis: ARTE sei „das einzige Sternerestaurant mit angehängtem Sender“. Ein bekannter Sternekoch hatte den Stress im eigenen Restaurant satt und war als Koch in die Kantine der ARTE-Zentrale gewechselt. Von solchen kulinarischen Überraschungen können die meisten deutschen TV-Mitarbeiter beim Mittagessen in ihren Kantinen nur träumen.

Maria Goblirsch

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