Fachgruppe Europa
Journalisten in der Türkei: 150 im Gefängnis und über 10.000 ohne Job
Auch Kollegen in den Balkanstaaten leiden unter massiven Problemen
In der Türkei kommt es für Journalisten knüppeldick: Mehr als 150 sitzen im Gefängnis und über 10.000 sind arbeitslos. Dass fast jeder Dritte Medientätige keinen Job hat, ist aber nicht nur ein Resultat staatlicher Eingriffe, sondern auch die Folge eines heftigen Medienwandels.
Bei einem Hearing der Europäischen Journalisten Föderation (EJF) [1] berichtete Mustafa Kuleli vom Türkischen Journalistenverband TGS, wie in seinem Land politische und wirtschaftliche Einflüsse gepaart mit dem Wandel zur digitalen Informationsgesellschaft den Mediensektor unter Druck setzen.
Das Anzeigenaufkommen konzentriere sich vorwiegend auf Medienhäuser, die unter Regierungseinfluss stünden oder regierungstreuen Eignern gehörten. Aber selbst diese müssten ihre Mitarbeiterzahl herunterfahren, weil die Einnahmen rückläufig seien.
Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ist riskant
Beim türkischen Journalistenverband wertet man das Folge eines massiven Vertrauensverlustes der Türken in die Medien. Laut dem Bericht des Reuters Instituts der Uni Oxford denken 40 Prozent der Bevölkerung so. Jüngere Konsumenten setzen wie in anderen Ländern ohnehin auf digitale Medienangebote. Die Anbieter klassischer Medien täten sich schwer auf diesem Feld mitzumischen, sagte Kuleli. Aber auch vielen Journalisten hätten nicht die in den neuen Medien erforderlichen Kompetenzen.
Der Journalistenverband setzt mit Unterstützung von Organisationen wie der Friedrich-Ebert-Stiftung auf Fortbildungsangebote. Aber nicht zuletzt auch durch die politischen Ereignisse ist seine Einflusskraft beschränkt. Nur fünf Prozent der Medientätigen in der Türkei sind noch gewerkschaftlich organisiert: „In einer Gewerkschaft zu sein gilt als riskant“, bekannte Kuleli bei dem Hearing in Brüssel.
Viele Probleme in den Balkanstaaten
Bei der Veranstaltung an dem auch Vertreter der EU Kommission und der Unesco teilnahmen, ging es auch um Medienvielfalt, Pressefreiheit und journalistische Arbeitsbedingungen in den Balkanstaaten. Auch hier ist die Liste der Probleme lang.
In den Länderberichten war von Einflussnahme aus Politik und Wirtschaft die Rede. Aufsichtsbehörden bleiben untätig, Mediengesetze stehen nur auf dem Papier. Vor allem im Kosovo müssen Journalisten nach missliebiger Berichterstattung um Leib und leben fürchten. In Mazedonien liegt das Einkommen in den Medien bei unter 200 Euro.
In allen Ländern setzt man auf die Hilfe der EU: Sie müsse bei den Beitrittsverhandlungen und in den Fortschrittsberichten über die Kandidatenländer Druck machen, hieß es bei dem Hearing.
Rainer Reichert [2]
Umfrage zur Pressefreiheit in Deutschland und der Türkei
Ann-Kristin Schwab, Studentin an der Hochschule Ansbach, bittet um Teilnahme an ihrer Bachelor-Umfrage, „Journalisten unter Druck? – Die Pressefreiheit in Deutschland und der Türkei im Vergleich“.
U.a. geht es darum: Wie viel wissen deutsche Journalisten über die Situation ihrer türkischen Kollegen? Welche Erfahrungen haben Journalisten zum Thema Pressefreiheit in Deutschland gemacht? Die Teilnahme an der Umfrage dauert ungefähr zehn Minuten.
Die Umfrage [3] läuft bis zum 31. Dezember 2017. Die Autorin informiert Sie bei Interesse über die Ergebnisse ihrer Arbeit.