Mitglied werden

BJVreport

Officestory: Der Ethiker im Haus

07.01.2025
Ein Artikel aus dem BJVreport von
Senta Krasser

Als Polizeireporter hat Sascha Borowski in Augsburg viel Gutes, aber auch viel Böses dieser Welt erlebt.

Die medienethischen Aspekte im Journalismus treiben Sascha Borowski seit frühen Reportertagen um – auch als Redaktionsleiter der Allgäuer Zeitung.

Als der BJVreport Sascha Borowski für eine „Officestory“ in der Oktober-Ausgabe anfragte, sagte er ab. Respektive bat um Verschiebung. Sein Argument war bestechend: Er wolle im November beim DJV-Verbandstag in Ingolstadt wieder für einen Sitz im Presserat kandidieren, für den er sich seit 2014 engagiert, und es sei nicht sicher, ob er auch tatsächlich gewählt werden würde. Er fände es persönlich etwas komisch, im Artikel über die Arbeit im freiwilligen Selbstkontrollorgan der Presse zu schwärmen und zu dem Zeitpunkt womöglich gar kein Mandat mehr zu haben.

Seit dem Elften im Elften ist klar: Der Redaktionsleiter und Chief Digital Editor der Allgäuer Zeitung kann bedenkenlos „schwärmen“. Er wurde von den Delegierten des DJV für das Ehrenamt im Presserat bestätigt. Alles andere wäre ja auch wirklich seltsam gewesen. Auf nach Kempten!

An Borowskis Chefbüro dort ist nichts Außergewöhnliches, alles sehr funktional, wenig persönlich – bis auf eine kleine Polizeifigur auf dem Schreibtisch. Es ist eine Erinnerung der Kolleg*innen an seine wilde Zeit als Polizeireporter bei der Augsburger Allgemeine: Jeden zweiten Freitagabend stand der Streifenwagen vor der Tür und setzte ihn am nächsten Morgen um fünf wieder ab, mit ganz vielen Geschichten im Block. Viel Gutes, aber auch viel Böses dieser Welt erlebte Borowski auf diesen Nachtfahrten. So was prägt. Schon damals trieb ihn die Frage um: Was darfst du eigentlich als Reporter? Wie gehst du mit Hinterbliebenen nach einem Tötungsdelikt oder einem Unfall um? Wie sprichst du mit ihnen auf der Suche nach der Geschichte, ohne ihnen zu schaden? Persönlichkeits- und Opferschutz, diese medienethischen Aspekte im Journalismus, beschäftigen ihn noch heute, nicht zuletzt auch im Presserat.
Viermal im Jahr tagt das Gremium, um über journalistisches Fehlverhalten von Zeitungen und Zeitschriften zu beraten. Die Zahl der Beschwerdefälle, um die 2000 pro Jahr, ist ungefähr gleichgeblieben in Borowskis Amtsperiode. Bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht und gegen das Persönlichkeitsrecht sieht er allerdings einen Trend nach oben, vor allem im Boulevard. Schwer für ihn zu sagen, ob das daran liegt, dass die Leser*innen, die Beschwerde einreichen, sensibler geworden sind. „Vielleicht schauen wir im Presserat da genauer hin?“

„Die zehn teuersten Immo­bilien in der Region –
auch solche Berichte kann man medienethisch sauber gestalten.“

Nach wie vor problematisch sei auf jeden Fall die fehlende Trennung von Redaktion und Werbung. Neben dem klassischen Fall von Product Placement hätten sie es vermehrt mit Geschichten zu tun, in denen es zum Beispiel um „Die zehn teuersten Immobilien der Region“, „Die zehn besten Restaurants“ oder neu eröffnete Geschäfte in der Stadt geht. Klar, so was interessiere die Leute, „das ist Conversion-relevant und bringt Abos“. Aber es sei auch ein schmaler Grat: „Wo handelt es sich noch um neutrale Berichterstattung oder wo fängt das Werbliche an?“

Bringt diese Frage ihn, in dessen Brust ja nicht nur das Herz des Presseethikers schlägt, manchmal in die Zwickmühle? Als Redaktionsleiter ist er schließlich verantwortlich dafür, dass seine Zeitung sich verkauft. „Nicht unbedingt“, antwortet Borowski, „denn auch diese Berichterstattung kann man medienethisch sauber gestalten, indem man eine neutrale, nicht werbliche Sprache verwendet, Distanz bewahrt, Dinge einordnet.“

„Keine Grenzen überschreiten!“

Seine Erfahrung im Presserat sieht er als „sinnvolle Ergänzung“ im Alltagsgeschäft. Immer wieder komme es vor, dass Kolleg*innen ihn fragen: „Wir haben ein krasses Unfallfoto, können wir das zeigen?“ Oder: „Jemand will, dass wir einen Artikel löschen, können wir das machen?“ Alles Fälle, die er aus der Presserats­praxis kennt. Und auch wenn sie auf all-in.de, dem Blaulicht-Reichweitenportal der Allgäuer Zeitung, die Leitplanken „vielleicht ein bisschen weiter“ aufmachten als bei allgäuer-zeitung.de, gelte immer die Regel: Keine Grenzen überschreiten! Dafür sorgten sie alle gemeinsam.

Dieses Adjektiv benutzt Sascha Borowski sehr häufig. Am Ende unseres Gesprächs wird er sogar explizit darum bitten, dass man herausstellen möge, dass er ohne sein Team „gar nicht funktionieren“ würde. Diesen feinen Charakterzug, sich ungern in den Vordergrund zu stellen, immer ein Ohr für die Bedürfnisse der eigenen Mitarbeitenden zu haben, das wird auch auf Nachfrage von seinem Umfeld gespiegelt. Absolut kein schlechtes Wort ist zu hören. Im Allgäu sind sie froh, so einen wie ihn als Chef zu haben.

Wie er, der 1971 in Landsberg am Lech geboren wurde, dort überhaupt hinkam? Kurz: Es war der klassische Weg. Schülerzeitung, freie Mitarbeit bei der Heimatzeitung, Volontariat in der Augsburger Allgemeine, Jungredakteur in Landsberg, Polizei- und Gerichtsreporter – und Digital-Pionier. In diese Schiene rutschte er, weil er es zunehmend mit dem Thema Online-Kriminalität zu tun hatte. Es war die Frühzeit des Internets. Borowskis Berichte über Online-Abzocke wurden viel gelesen. Das blieb der Chefredaktion nicht verborgen. 2007 beförderte sie ihn an den neuen Crossmedia-Desk in der Zentrale, 2009 stieg er zum Leiter der Digitalredaktion auf.

Die Verwunderung war bei manchen dann groß über Borowskis Wechsel 2019 zur kleineren Allgäuer Zeitung, an der die Mediengruppe Pressedruck mit 50 Prozent beteiligt ist. Aus Augsburger Sicht liegt das Allgäu arg weit vom Schuss. Für ihn selbst war es „ein guter Karrieresprung“ und die Region gar nicht fremd. Da seine Frau aus dem Allgäu stammt, Teile der Familie im Allgäu wohnen, seine Geburtsstadt Landsberg an der Grenze zum Ostallgäu liegt und er in der Jugend viel mit dem Allgäu zu tun hatte, war der Übergang „wirklich nicht schwer“.

Geholt wurde er vom damaligen Redaktionsleiter in Kempten, Uli Hagemeier. Die Redaktion sollte digitaler arbeiten, nicht mehr das Digitalgeschäft in eine Tochtergesellschaft auslagern. Und so stieß Borowski auf ein kleines Team, das bis dato das Freizeitportal Allgaeu.life betreut hatte und mit den Hufen scharrte, um endlich durchzustarten. Neue technische Strukturen, Workflows, Themen und Geschäftsmodelle, der Start von allgäuer-zeitung.de als Markenportal und die Weiterentwicklung von all-in.de zum Reichweitenportal: All das hätten sie (sic!) gemeinsam geschaffen.

So war es eine Teamleistung, als in diesem November mit dem zweiten Website-Relaunch die nächste Transformationsstufe gezündet wurde: Als zweiter Standort in der Mediengruppe nutzt die Allgäuer Zeitung das Redak­tionssystem CUE. Wie alle Häuser versuchten auch sie, die Editor*innen von den Reporter*innen besser zu trennen, „also den Kollegen bei der Blattplanung den Rücken freizumachen, damit sie sich wieder als Reporter fühlen können“, erklärt Borowski. Klar falle manchen der Abschied schwer, aber er müsse sein. „Wir wollen Ballast abwerfen, um uns für die Menschen da draußen noch gezielter und intensiver um relevante Inhalte kümmern zu können.“

Das verlagsübergreifende Großprojekt trägt den Titel „Gemeinsames Publizieren“ und weckt die Befürchtung, dass die Zeitungen in Augsburg, Würzburg, Konstanz und Kempten inhaltlich noch enger aneinanderrücken. Tatsächlich ist Einsparen von Zeit und Ressourcen das Ziel. Borowski macht es an einem Beispiel deutlich: „Wir streben auf Neuwahlen zu. Anstatt dass jede Lokalredaktion für sich den Infokasten ,So laufen Neuwahlen ab‘ erstellt, wird dieser Inhalt einmal zentral gemacht.“ Auch bei SEO-Inhalten nutzten sie „die Kraft der gegenseitigen Verlinkung“.

Die Frage, ob sich da in ihm nicht der Presse-Ethiker regt, der auch auf den Erhalt von Medienvielfalt schaut, muss man ihm natürlich stellen. Borowski antwortet mit einer Gegenfrage: „Na ja, dann hätte man vor 60 Jahren die dpa abschaffen müssen, oder?“ Das sei doch letztlich das Prinzip von Medienverbünden: „Es gibt eine Zentralredaktion, die sich um Inhalte kümmert, die nicht 15 Mal neu erfunden werden müssten. So kann sich jede Redaktion um das kümmern, was sie am besten kann. Das ist bei uns der lokale Journalismus.“

Dieser Artikel erschien zuerst im BJVreport 5/2024


 

Warum ich im BJV bin

„Ich bin als Volontär eingetreten, weil mein damaliger Ausbilder gesagt hat: Es ist wichtig, im BJV zu sein, weil er für Pressefreiheit kämpft und für die Rechte von Journalistinnen und Journalisten. Und weil es da guten Austausch unter­einander gibt. Das sind die Punkte, die ich bis heute so wahrnehme. Und als ich vor gut zehn Jahren einmal wegen einer Berichterstattung auf meiner privaten Webseite abgemahnt wurde, hat mich die BJV-Rechtsabteilung unterstützt – den Fall haben wir dann auch gewonnen.“ - Sascha Borowski

Weitere Artikel im BJV-Blog

BJV-Geschäftsstelle
BJV-Geschäftsstelle

10.06.2025

Wir ziehen um

Seit dem 01. Juni finden Sie die Geschäftsräume des BJV in der Aschauer Straße in München. Vom 26. Mai bis 06. Juni ist die Erreichbarkeit der Geschäftsstelle geändert.

Mehr
Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

06.06.2025

Besuch im Bayerischen Landtag

Zu Besuch beim Rockstar im Maximilianeum

Mehr
Fachgruppe Bild
Fachgruppe Bild

05.06.2025

Ausstellung Pressefoto Bayern 2024 bis 5. Juli in Nürnberg

Thomas Geiger weist auf die schwierige Situation der Pressefotograf*innen hin

Mehr
Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fachgruppe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

23.05.2025

Besuch beim Modehaus Wöhrl in Nürnberg

Verknöpft mit der Tradition - Das Nürnberger Textilunternehmen im Wandel.

Mehr
BJVreport
BJVreport

22.05.2025

Mit der Flottenstrategie zum Einheitsprogramm?

Bayerns lokale Radiosender stecken in der Kostenfalle.

Mehr
Press Ahead
Press Ahead

20.05.2025

Video und Impressionen

Am 14. Mai fand "Press Ahead - Das Newcomer-Camp des BJV" zum zweiten Mal in der Katholischen Akademie statt.

Mehr
ABP-Reportagepreis
ABP-Reportagepreis

19.05.2025

Eine Tierärztin gewinnt den ABP-Reportagepreis

Die Stellvertretende Correctiv-Chefredakteurin war Interview-Gast.

Mehr
Press Ahead
Press Ahead

15.05.2025

Wie sich die Attraktivität des Volontariats steigern ließe – ein Brainstorming

Beim Bildungsgipfel diskutiert der BJV-Vorsitzende Harald Stocker mit Vertretern aus Medienhäusern und Politik über Wege, um die Journalismus-Ausbildung aufzuwerten.

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

09.05.2025

Warnstreikaufruf 12.05.

Wir bestreiken die bayerischen Tageszeitungen am Montag, den 12.05.2025, und bis Dienstag, 13.05.2025.

Mehr
Pressefreiheit
Pressefreiheit

07.05.2025

„Wir müssen jetzt handeln!“

Ob Schutz vor „Fake News“ oder negative Auswirkungen der KI – der Staat ist jetzt besonders gefordert – aber auch wir selbst können etwas tun.

Mehr
Pressefreiheit
Pressefreiheit

02.05.2025

BR-Reporter Johannes Reichart ist Bayerischer Journalist des Jahres

Der BJV zeichnet Journalist*innen mit dem Rainer-Reichert-Preis zum Tag der Pressefreiheit aus.

Mehr
BJVreport
BJVreport

25.04.2025

Die Datenbändiger

Wie aus Zahlen Geschichten werden. Datenjournalismus bietet die Chance, komplexe Themen verständlich und zugänglich zu machen.

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

11.04.2025

Warnstreikaufruf 14.04.

Wir bestreiken die Süddeutsche Zeitung am Montag, den 14.04.2025, von 00:00 Uhr bis 23:59 Uhr an allen Standorten.

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

11.04.2025

Streikkundgebung in Augsburg

In Bayern streiken Tageszeitungs-Redakteur:innen. Bei der zentralen Streikkundgebung in Augsburg berichten Volos von düsteren Zukunftsaussichten, die das Angebot der Verleger für Sie bedeutet.

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

09.04.2025

Warnstreikaufruf 10. und 11.04.

Wir bestreiken die Augsburger Allgemeine, Allgäuer Zeitung, Fränkische Landeszeitung, Main-Echo, Main-Post, Münchner Merkur/TZ, Nürnberger Nachrichten und weitere. Streikversammlung in Augsburg.

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

08.04.2025

Warnstreikaufruf 09.04.

Wir bestreiken die Süddeutsche Zeitung ab Mittwoch, den 09.04.2025, von 00:00 Uhr bis Donnerstag, den 10.04.2025, 23:59 Uhr an allen Standorten.

Mehr
Mitgliederversammlung 2025
Mitgliederversammlung 2025

05.04.2025

BJV wählt neues Vorstands-Team

In München bestätigen die BJV-Mitglieder Harald Stocker als Vorsitzenden des Bayerischen Journalisten-Verbands. Im geschäftsführenden Vorstand gibt es neue Gesichter.

Mehr
BJVreport
BJVreport

31.03.2025

Der Patient am Rande der Stadt

Dem Bayerischen Rundfunk fehlen 70 Millionen Euro und in der neuen Zentrale ist es kalt. Das ist nicht optimal, um endlich vereint in die Medien­zukunft mit KI zu springen.

Mehr
Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz

27.03.2025

Wie KI den Journalismus verändert

Diskussionsrunde beim BR über eines der großen Zukunftsthemen

Mehr
Tarif Tageszeitungen 2025
Tarif Tageszeitungen 2025

25.03.2025

Warnstreikaufruf 26.03.

Wir bestreiken das Main-Echo ab Mittwoch, den 26.03.2025, von 00:00 Uhr bis Donnerstag, den 27.03.2025, 23:59 Uhr an allen Standorten.

Mehr