BJVreport
Fragen, Bedenken, Aufbruchstimmung
Ein Artikel aus dem BJVreport von
Senta Krasser


Die umstrittene Reform im Regionalen der Süddeutschen Zeitung ist umgesetzt – intern geräuschloser als gedacht.
Was im vorigen Herbst die Gemüter erregte und die Regio-Chefs der Süddeutschen Zeitung, Ulrike Heidenreich und René Hofmann, im Interview mit dem BJVreport (siehe 5/2024) gegen breite Kritik auch seitens des BJV verteidigten, ist jetzt umgesetzt: Seit Anfang Juni erscheinen die News aus München und Bayern in reduziertem Printumfang. Dafür spielt sich mehr im Digitalen ab. Außerhalb der SZ-Zentrale schließen sich die Türen, weil die eigenen Redaktionsräume im Umland sukzessive alle aufgegeben werden. Dennoch kommt der Umbau intern offenbar weniger kontrovers an als gedacht, wie der BJVreport von Mitarbeitenden erfuhr – obwohl die Konsequenzen für manche zum Teil gravierend sind. Und für die (meist ältere) SZ-Leserschaft der gedruckten Zeitung ebenso.
Mit der Umstellung wurde die Buchstruktur aufgegeben. Das bedeutet: Es wird nicht mehr für jeden Landkreis ein eigenes Zeitungsbuch mit mindestens vier Seiten inklusive Anzeigen gefüllt. Die Inhalte aus den Bereichen Fürstenfeldbruck/Dachau, Ebersberg/Erding/Freising, Starnberg/Bad Tölz-Wolfratshausen und dem Landkreis München werden auf Seiten präsentiert, die ins München-Buch integriert sind. Das spart teure Druckkosten. Es geht aber auch zu Lasten von Inhalten allein quantitativ.
Wer in München wohnt, kann eine starke Tendenz des Lokalteils in Richtung Berichterstattung über „Greater Munich“ mit etwas arg viel Themen aus den umliegenden Landkreisen erkennen, die im Vergleich zur Stadt manchmal etwas seltsam gewichtet sind. Der neuen Redaktionslinie folgend („eine regionale Geschichte, die ganz Deutschland interessiert“) mag der ausführliche Bericht über Bierpreise auf Volksfesten von Cham bis Vaterstetten auch für Leser*innen der München-Seiten interessant sein. Dafür fühlt sich das Umland immer weniger im Blatt repräsentiert. Vermisst wurde beispielsweise im Oberland, dass in der SZ nichts zu erfahren war über ein neues Wohnquartier in Holzkirchen, dafür im Miesbacher Merkur. Auch dass in diesem Juni die Pläne für rund 140 Wohnungen begraben wurden, war der SZ keine Berichterstattung wert. Die Zielgruppe der SZ: Sie wird jetzt eben deutlich weiter gefasst und nicht mehr über alles und mit Kleinteiligem in Zweispalter-Meldungen informiert. Wer Genaueres über die eigene Heimat wissen will, muss die Konkurrenz lesen.
„Wie bei einem Puzzle haben wir versucht, für jede und jeden den richtigen Platz zu finden.“
- SZ-Ressortleitung München, Region und Bayern
Nicht wegzudiskutieren ist: Die Sichtbarkeit der Zeitung vor Ort nimmt ab, Mietverhältnisse von Außenbüros wurden gekündigt. Je nach Mietvertrag dauert es, bis die SZ überall raus ist.. In Fürstenfeldbruck zum Beispiel werden die eigenen Redaktionsräume spätestens ab 2027 abgemietet sein. In Starnberg wandelt der Vermieter die Liegenschaft in einen Co-Working-Space um, in den sich die SZ dann einmieten will. In Dachau wurde ein ähnliches Modell gefunden. Als Rückzug aus der Region will die Ressortleitung all das keinesfalls verstanden wissen.
Auf Nachfrage betonen Heidenreich und Hofmann „das Wichtigste“ ihrer Reform: Dass Geschichten nicht mehr aus Printsicht geplant und geschrieben würden („Wir brauchen noch was für die zweite Seite unten!“), sondern konsequent aus Digitalsicht, also mit dem Fokus: Wie findet welcher Inhalt über die digitalen Ausspielformen das meiste Publikum? Und: Was schubst ins Digital-Abo? Als beispielhaft (weil digital erfolgreich mit hohen fünfstelligen Zugriffszahlen) führen sie an: ein Interview mit einem Senner im Isarwinkel, einen Essay über die Vorzüge des Münchner Speckgürtels sowie eine Geschichte über Klimaschutzideen von Studierenden in Weihenstephan. Zudem gibt es (noch nebulöse) Pläne für weitere Projekte, „die die Präsenz der SZ in allen Landkreisen herausstreichen“ sollen.
60 Einzelgespräche haben die Regio-Chefs intern geführt, in denen sie mit dutzenden Fragen („Wie soll das genau funktionieren?“) und etlichen Bedenken („Aber verlieren wir dann nicht unsere regionalen Wurzeln?“) konfrontiert wurden. Es gab ihnen zufolge aber auch viel Aufbruchstimmung („Endlich kommen wir mal raus aus der täglichen Mühle“), Lust auf Neues im Digitalen und Ideen für das Feintuning des Modells. Wie bei einem Puzzle hätten sie dann versucht, „für jede und jeden den richtigen Platz zu finden“.
Pauschalen reduziert
Herausgekommen ist: In den Landkreisen sind nur noch gut 25 Reporter*innen im Einsatz. In einer täglichen Konferenz mit allen wird festgelegt, wer welches Thema wie angeht. Das neu etablierte Regions-Desk im SZ-Glasturm, bestehend aus rund zehn Kolleg*innen, kümmert sich dann um die Koordination im Haus, also wo die Stücke digital ausgespielt werden, und übernimmt die Produktion Print und Online. Für die Social-Media-Ausspielungen wurden zwei Stellen ausgeschrieben. Weitere zwei Kolleg*innen kümmern sich um die neu definierten, übergreifenden Themenfelder Gastronomie, Verkehr, Investigatives sowie Themen gezielt für Unter-30-Jährige.
Eine Quote, wie viele Freie nicht mehr beauftragt werden, gibt es laut Heidenreich/Hofmann nicht. Regelmäßig Schreibende hätten weiterhin die Möglichkeit, Themen anzubieten. In der Bayern-Kultur und bei SZ Extra wird darauf nicht verzichtet, auch Pauschalisten sind dort „unangetastet“, heißt es aus der Redaktion. In anderen Teams wurden allerdings Pauschalen wegen „zurückgefahrener Arbeitserwartung“ reduziert. Zwei Pauschalen-Empfänger haben aus Altersgründen von sich aus die Zusammenarbeit beendet, bei dreien hat es die SZ getan.
Wie die SZ-Leserschaft auf all das Neue reagiert? Laut Ressortleitung trudelten in den ersten drei Wochen rund 400 Rückmeldungen ein, ein Drittel davon wollte schlicht informiert werden. Andere wünschten sich mehr aus den Landkreisen – ein wiederkehrender Wunsch, wie Markterhebungen in der Vergangenheit ergaben.
Die Quote derjenigen, die ihr Print-Abo wegen der Umstellung gekündigt haben, liegt bei 0,1 Prozent. Im gleichen Zeitraum kamen über 1.000 Digital-Abos hinzu. Nach Zahlen scheint die SZ-Rechnung aufzugehen. In der Fläche bleiben aber blinde Flecken der Berichterstattung.
Dieser Artikel erschien zuerst im BJVreport 03/2025
Vor Gericht: Autorenrechte-Brief der SZ
Mit einem neuen Autorenrechte-Brief will der Verlag der Süddeutschen Zeitung von freien Mitarbeitenden das Recht einfordern, dass die Zeitung ihre journalistischen Werke für KI-Training und -Anwendung verwenden darf. Gleiches soll für die Erstellung von Zusammenfassungen und Bearbeitungen ihrer Wort- und Bildbeiträge gelten. Von einer Extra-Vergütung ist nicht die Rede. Dafür sollen Freie die Zustimmung des Verlags einholen, wenn sie generative KI jeglicher Art nutzen wollen. Der DJV hält diese KI-Klauseln für problematisch, weil sie massiv in das Persönlichkeitsrecht von Autor*innen eingreifen, und legte im April Klage ein vor dem Landgericht München I. Das Hauptsacheverfahren soll grundsätzliche Klarheit schaffen. Die Gegenseite beantragte eine Fristverlängerung bis Ende Juli. Die Aufforderung zur Unterschrift unter die neuen AGB bekamen auch Mitarbeitende von den Zeitungen der Verlagsgesellschaft Hof/Coburg/Suhl/Bayreuth, die wie die SZ zum SWMH-Konzern gehört. DJV und BJV raten, nicht zu unterschreiben. Die Befürchtung, dass dann Aufträge ausbleiben, scheint sich bisher nicht bewahrheitet zu haben.