Beate Winterer begrüßte für die Akademie für Politische Bildung Tutzing die Besucher*innen, sie moderierte die Auftaktrunde „Ja, wir wollen möglichst viele Klicks“ – außerdem beteiligte sie sich an der Konzeption der Tagung

BJV-Landesvorstand

„Der Journalismus ist noch nie so gut gewesen“

BJV und Akademie für politische Bildung Tutzing veranstalteten gemeinsam Online-Tagung „Klicks vor Qualität? Medien im digitalen Zeitalter“

München, 17.05.2021

Je mehr Seitenaufrufe, desto mehr Werbeeinnahmen: Klicks gelten als die harte Währung im Online-Journalismus – und längst nicht mehr allein die nachrichtlichen Inhalte. „Klicks vor Qualität? Medien im digitalen Zeitalter“ hatten die Akademie für Politische Bildung Tutzing (apb) und der BJV deshalb eine gemeinsame digitale Tagung mit insgesamt sechs Panels überschrieben.

„Fördert die Digitalisierung ein inhaltsloses Clickbaiting?“, fragte die stellvertretende BJV-Vorsitzende Andrea Roth zur Begrüßung. Gemeinsam mit Beate Winterer, apb-Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Community Management, moderierte sie den Tagungstag.

Print gewinnt! Aber warum?
„Print hat gewonnen!“, stieg Alexandra Borchardt in ihren Impulsvortrag (Download, PDF, 6 MB) mit einer recht provokanten Aussage ein, die aber – wie schnell deutlich wurde – mit einem Hohelied auf die gedruckte Zeitung nichts zu tun hatte. 25 Jahre lang war sie in verschiedenen Medienhäusern auch in leitenden Funktionen tätig, unter anderem sechs Jahre bei der Süddeutschen Zeitung. Heute berät sie Lokalverlage und ist u.a. Professorin an der Universität der Künste in Berlin. Die digitale Transformation des Journalismus sei ihr „ein Herzensanliegen“, sagt sie.

Datenjournalismus, Kooperationen, KI
Der Journalismus sei noch nie so gut gewesen und unglaublich vielfältig geworden, betonte Borchardt und verwies unter anderem auf Datenjournalismus, große internationale Kooperationen, neue Formate wie Podcasts oder auch Künstliche Intelligenz, „die uns künftig lästige Arbeiten abnehmen wird“. Das Vertrauen in Medien ist, wie Studien zeigen, gestiegen – wenn auch sich auf der Gegenseite eine kleine Minderheit immer stärker radikalisiert.

Es fehlt an Verständlichkeit, Relevanz und dem richtigen Ton
Mit einer gewissen Sorge präsentierte Borchardt allerdings auch Daten, die zeigen, dass das Vertrauen in Soziale Medien sehr gering sei, 80 Prozent der jüngeren Generation aber gleichzeitig über diese zum Journalismus fänden. Und auch hier hakt es: Nur jeder zweite bestätigte laut Digital News Report 2019 des Reuters Institute, dass Medien dabei helfen, das tagesaktuelle Geschehen zu verstehen; dass sie ihre Wächterfunktion erfüllen, bejahten nur 42 Prozent; der Frage, ob die ausgewählten Themen relevant erscheinen, stimmte nicht einmal ein Drittel zu.

Und nur 16 Prozent sagten: Nachrichtliche Medien treffen den richtigen Ton. „Die gute Nachricht: Medien können etwas tun“, sagte Borchardt. Zumindest, so sie sich Umfragen wie diese zu Herzen nehmen.

„Wir schaffen uns ab, wenn wir die Objektivität aufgeben“
Gerade in Deutschland schätzen zudem 80 Prozent der Befragten vor allem auch journalistische Objektivität. „Im Netz findet man so viel Meinung. Wir schaffen uns selbst ab, wenn wir die Objektivität aufgeben“, schlussfolgerte Borchardt.

Und noch eine Erkenntnis aus einer anderen Studie („Use the News – Nachrichtennutzung und Nachrichtenkompetenz im digitalen Zeitalter“, des Leibniz-Institut für Medienforschung): „Jeder zweite junge Mensch ist ein Nachrichtenmuffel. Und das muss uns wirklich beschäftigen.“ Zudem verstärke die Digitalisierung die soziale Ungleichheit im Nachrichtenkonsum. Wer gebildet sei, finde sich gut zurecht und nutze verschiedene Quellen. Andere fänden keinen Zugang zum Journalismus mehr, während man früher „zwangsgefüttert“ wurde.

Vielfalt nutzen, Mitsprache ermöglichen, moderieren
Was also tun? Menschen bedienen, wann sie es brauchen, und auf Plattformen treffen, auf denen sie sich bewegen; die Vielfalt der Formate nutzen, wo es sinnvoll ist; Mitsprache ermöglichen und moderieren. Und Qualität bedeutet laut Borchardt nicht nur Digital First, sondern auch Audience First: Verschiedene Nutzer*innen, bedeute verschiedene Bedürfnisse, die es zu bedienen gilt. Das eine Publikum gebe es nicht – und habe es nie gegeben.

Journalismus als Erlebnis
Und warum hat aus Borcharts Sicht das Konzept Print nun gewonnen? Weil Journalismus Erlebnis und nicht nur reine Informationen bedeute. Die Professorin begreift Journalismus als Qualitätsversprechen, als Lebensbegleiter sowie als Mehrwert und Bereicherung. Dafür braucht es gute Recherchen, lange Lesestücke, stabile Kundenbeziehungen und Stücke, die in die Tiefe gehen.

„Ja, wir wollen möglichst viele Klicks“
Zudem Einblicke in ein Gespräch zwischen Thomas Kaspar, Chefredakteur der Frankfurter Rundschau und Marvin Schade, Co-Gründer von Medieninsider. Das digitale Magazin für die Medien- und Verlagsbranche begleite journalistisch, wie sich die Medien inhaltlich, technisch und wirtschaftlich verändern, wie sie auf die Digitalisierung reagieren, schreiben dessen Macher.

„Ja, wir wollen möglichst viele Klicks“ war die von Beate Winterer moderierte Runde überschrieben. Kaspar hatte zum 1. März 2019 das Amt als Chefredakteur angetreten, um die Traditionsmarke Frankfurter Rundschau weiter auszubauen. „Sie müssen die Hütte voll bekommen“, plädierte er nun deutlich für den Aufbau von Reichweite.

„Man kann es mit Reichweite auch übertreiben“
„Wir müssen die Leser*innen abholen, das stimmt“, sagte Schade. „Aber wir müssen auch lernen sie zu halten. Das ist die Herausforderung, vor der wir im Internet stehen.“ Kritisch merkte er an: Man könne es mit Reichweite auch übertreiben, wenn ein so großes Rauschen entstehe, „dass man nicht mehr weiß, wofür eine Marke steht“.

Es braucht 21 Begegnungen. Mit Mehrwert
Chefredakteur Kaspar sprach von einer Zwischenphase, in der es zu früh sei, um auf ein Bezahlmodell zu setzen. Im Moment gehe es noch um Loyalisierung und den Aufbau eines Grundstocks. Untersuchungen belegen wohl, dass es im Schnitt 21 Begegnungen mit Mehrwert braucht, bis Nutzer*innen bereits sind, ein Abo abzuschließen. Mit anderen Worten: Es braucht 21 gute Geschichten – und die müssen auffindbar sein.

Vorteil für die Frankfurter Rundschau als Teil der Münchner Ippen-Gruppe laut Kaspar: Die sei so groß, dass sich Reichweite vermarkten lasse, das Matching von Anzeigen und Texten bringe Geld. „Wir sind eine riesige Mediengruppe. Dadurch haben wir, anders als kleine Verlage, keine Hektik“, sagt er.

„Wann ist der Zug abgefahren?“
Marvin Schade hinterfragte kritisch, wann es zu spät sei, ein Paid-Content-System einzuführen. „Wann ist der Zug abgefahren?“, stellt er in den Raum. Man wisse, das Nutzer*innen in der Regel nicht mehr als fünf oder sechs Abonnements abschlössen.

„Spotify-Journalismus“ als Bezahlmodell der Zukunft?
Und wie steht es um Bezahlmodelle, bei denen sich der Abonnent nicht länger auf einen Titel festlegen muss, Stichwort „Spotify-Journalismus“? Der gesellschaftliche Wunsch sei da, sagt Schade.

Die Bereitschaft der Verlage, zusammen zu gehen, indes bislang nicht, weil die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit nicht besteht, solange ausreichend klassische Digitalabos abgeschlossen werden. Auch sei fraglich, inwieweit sich hochwertiger Journalismus über einen „Spotify-Journalismus“ finanzieren ließe.

Wunsch nach gedruckter Zeitung
Die taz bereitet sich inzwischen darauf vor, unter der Woche nur noch digital zu erscheinen, die gedruckte Ausgabe soll dann nur noch am Wochenende verfügbar sein. Wie steht es um die Frankfurter Rundschau? Druck und Versand würden immer teurer – und am einfachsten wäre es wohl, die gedruckte Zeitung durchs E-Paper zu ersetzen, sagte Kaspar. Aber: „Alle Umfragen zeigen, dass der Wunsch nach Papier da ist.“ Das könne man nicht einfach so durchs ePaper ersetzen. „Von uns ist es die Bestrebung nicht, die gedruckte Zeitung abzulösen“, erklärte der Chefredakteur.

Weitere Panels: Mehr dazu im nächsten BJVreport
Bei weiteren Panels der Online-Tagung fragte die Kommunikationswissenschaftlerin Julia Serong „Was macht Medienqualität aus?“. Thomas Mrazek, Vorsitzender der BJV-Fachgruppe Online, diskutierte mit taz-Geschäftsführerin Aline Lüllmann sowie den netzpolitik.org-Journalisten Alexander Fanta und Ingo Dachwitz über das von vielen Medien genutzte und gleichzeitig wenig kritisch hinterfragte Förderprogramm „Google News Initiative“ des Internetgiganten (siehe auch Studie „Medienmäzen Google – Wie der Datenkonzern den Journalismus umgarnt“. Die Studie wurde von der Otto BrennerStiftung (OBS) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) finanziert).

Verena Nierle (Bayerischer Rundfunk), Justus von Daniels (Correctiv) und Philip Faigle (Zeit Online) sprachen mit dem BJV-Vorsitzenden Michael Busch über neue Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung im Journalismus. Und Jonas Bedford-Strohm, zuständig für die KI-Koordination beim Bayrischen Rundfunk, redete mit der stellvertretenden BJV-Vorsitzenden Andrea Roth über „Kollege Roboter: Innovation durch KI“.

Mehr zu diesen Panels im kommenden BJVreport 03/2021, der im Juni erscheint.

Michaela Schneider

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