(von links nach rechts): Annette von Stetten, Andrea Titz, Thomas Morawski, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Klaus Ott
Foto: Sabine Oberpriller

BJV und Rechtsanwaltskammer München

War der Ecclestone-Deal eine Frechheit?

Geld gegen Unschuld – Podiumsdiskussion im Münchner PresseClub

München, 14.11.2014

„Eigentlich müssen wir uns bei Herrn Ecclestone bedanken. Nicht, weil er nach der prompten Zahlung eines schon absurd anmutenden Betrages von 100 Millionen Dollar nun als freier und unbescholtener Mann das Gericht verlassen konnte. Sondern weil er eine Diskussion ausgelöst hat, die uns alle nachdenklich machen sollte“, stellte Michael Then, Präsident der Rechtsanwaltskammer München, zu Beginn der Podiumsdiskussion im Münchner PresseClub fest.

„Geld gegen Unschuld – können sich Reiche in Deutschland frei kaufen“, lautete die Frage, über die die Podiumsteilnehmer am 13. November 2014 moderiert von Thomas Morawski, Fernsehjournalist und früherer Leiter des ARD-Studios Wien, diskutierten. Die Diskussion zu „Deals im Strafverfahren“ war der Auftakt einer neuen Serie, die BJV und Rechtsanwaltskammer München gemeinsam veranstalten. Sie spricht aktuelle juristische Fragen an, die auch Journalisten und viele Medien bewegen. Die Veranstaltung besuchten rund 90 Interessierte, damit war der PresseClub bestens gefüllt.

Ecclestone: „Die deutsche Justiz ist die beste!“
So hatte die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den 100-Millionen-Dollar-Deal im Ecclestone-Prozess jüngst gegenüber dem Deutschlandfunk als „eine Frechheit“ bezeichnet. Im Münchner PresseClub erklärte sie nun dazu, es habe sie aufgebracht, dass die Bürger und Bürgerinnen in der Öffentlichkeit nicht verstehen könnten, wie die Justiz mit solchen Verfahren umgehe. Die Beendigung auf diese Weise „ist für das Rechtsempfinden nachteilig und nicht mit dem Sinn und Zweck unserer gesetzlichen Regelung in Einklang zu bringen.“

Ecclestone habe dazu einen „schönen Beitrag“ dazu geleistet, indem er hinterher erklärt habe, die deutsche Justiz sei wirklich die beste, da könne man sich wenigstens mit einer ordentlichen Summe freikaufen. „Genau, das war verheerend für den Eindruck in der Öffentlichkeit. Natürlich ist das in der deutschen Justiz nicht so, dass man sich per se freikaufen kann!“, sagte die FDP-Politikerin.

Sie betonte, der Fall Ecclestone hätte vor Gericht ausverhandelt werden müssen, auch weil im Umkreis eine andere Person zu acht Jahren wegen Bestechung verurteilt worden sei. Hier gehe es nach dem Empfinden der Öffentlichkeit um Gerechtigkeit und darum, dass die Prinzipien des Rechtsstaats eingehalten würden.

Einstellung gegen Geldauflage – kein Sonderrecht für Reiche
Als Höhepunkt einer Reihe von Justizverfahren, die zeigen, wie man es nicht machen sollte, sieht Klaus Ott, Journalist und investigativer Rechercheur bei der Süddeutschen Zeitung den Fall Ecclestone. Er schätzte als Prozessbeobachter die Sache so ein, dass Ecclestone auch ohne „Deal“ den Gerichtsaal mit einem Freispruch verlassen hätte, „oder vielleicht hätte er eine Millionen gezahlt. Es wäre auf alle Fälle ein gerechteres Ergebnis gewesen, wenn man ausverhandelt und die Frage nach Schuld oder Unschuld aufgeklärt hätte“, sagte Ott in der Diskussion.

Stattdessen sei das Verfahren im Weg dieses Deals über 100 Millionen Dollar um drei Monate abgekürzt worden. „Herr Ecclestone wäre wohl billiger weggekommen. Andererseits muss man mit ihm kein Mitleid haben. Die Hochzeit einer seiner Töchter kostet normalerweise zehn Millionen Dollar, also war das vielleicht der Gegenwert von fünf bis zehn solcher Hochzeiten.“

Andrea Titz, Richterin und Pressesprecherin am Oberlandesgericht München, wies darauf hin, dass die so genannten „Deals“ im Strafverfahren in der öffentlichen Wahrnehmung als ein für reiche Angeklagte entwickeltes Sonderrecht angesehen würden. Doch genau das Gegenteil sei der Fall, „Einstellungen gegen Geldauflagen finden zehntausendfach in Deutschland statt. Das ist also eine ganz normale Art der Beendigung eines Verfahrens, die, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, für jeden Angeklagten offen stehen – für den Reichen ebenso wie für den Armen“.

Allein in Bayern seien 2014 über 25.400 Verfahren auf diese Weise schon im Bereich der Staatsanwaltschaften eingestellt worden, bei den Amts- und Landgerichten weitere 7.000 Verfahren. Es sei essentiell für die Justiz, dass sie auch auf die Akzeptanz in der Bevölkerung achte, dass sie deren Rechtsempfinden bei ihren Entscheidungen im Blick habe.

„Aber wäre es nicht auch eine unzulässige Ungleichbehandlung, wenn man einen prominenten Angeklagten, der so auftritt, wie man es sich nicht wünschen würde, nur deshalb die Einstellung des Verfahrens bei gleichen Voraussetzungen verweigern würde?“ Hier müsse sich die Justiz die Frage gefallen lassen, ob sie ihre Entscheidung richtig nach draußen transportiert habe.

Die Vereinbarung kommt tatsächlich „im Hinterzimmer“ zustande
Die eigentlichen Gespräche zu „Verständigungen zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten“ nach Paragraf 257 c der Strafprozessordnung finden im Alltag hinter verschlossener Tür statt, erklärte Annette von Stetten, Fachanwältin für Strafrecht in München. Das sei „die Krux des Verständigungsgesetzes und der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit als eine Art moderner Ablasshandel.“

Damit bekomme die Sache für den Bürger „ein gewisses Geschmäckle“ und habe „überhaupt nichts mehr zu tun mit der Kontrolle der dritten Gewalt durch die Öffentlichkeit.“ Dabei habe der Gesetzgeber strikt vorgegeben, dass Transparenz herrschen müsse. Hier seien sehr hohe Hürden für die Protokollierung über diese Gespräche (die auch ohne den Angeklagten selbst stattfinden) und deren Ergebnis gestellt.

„Diese Pflichten sind in der Praxis reichlich missachtet worden“, kritisierte die Anwältin. Das Bundesverfassungsgericht hätte dieses Vorgehen jüngst in zwei Entscheidungen massiv kritisiert und gefordert, dass die Praxis sich wieder an das halten müsse, was das Gesetz eigentlich mit Blick auf die Transparenz vorschreibe. „Wenn wir das wieder hinbekommen, dann wird auch die öffentliche Wahrnehmung wieder eine andere sein“, sagte von Stetten.

Was vereinbart wurde, liest man in der Zeitung
Dem Verfassungsgericht lag ein Gutachten vor, dessen Zahlen sehr nachdenklich stimmen: 33 Prozent der befragten Richter berichten danach von Absprachen außerhalb der Hauptverhandlung ohne Offenlegung in der Hauptverhandlung. In jedem zweiten Fall fand keinerlei Erwähnung im Protokoll statt. Der „Deal“ fand also unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Medien statt.

Das macht die Arbeit für die Medien erst interessant, konstatierte Journalist Klaus Ott. Dennoch sei es nicht Sinn der Justizpflege in Deutschland, dass man das, was eigentlich ins Protokoll gehöre, in den Medien nachlesen müsse. Nach Ansicht des SZ-Prozessbeobachters müsse gerade bei Wirtschaftsverfahren, wo es um viele Millionen an Steuergeldern gehe, aufgeklärt und zu Ende verhandelt werden. Wenn man wie im Fall Ecclestone wichtige Aspekte unter den Teppich kehre, entstehe der „Eindruck einer Kassenjustiz“, der der Rechtsordnung großen Schaden zufüge.

Maria Goblirsch

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