Harald Stocker moderierte ein spannendes Impulsgespräch
Foto: Silvio Wyszengrad

BJV-Geschäftsstelle

„Medien-Bashing wie noch nie“

Journalisten debattieren bei BJV-Mitgliederversammlung über Berichterstattung zum Germanwings-Absturz

Augsburg, 12.05.2015

Der Absturz von Flug 4U9525 Ende März in den französischen Alpen liegt nun schon eine Weile zurück. Längst bestimmen andere Sensationen und Katastrophen die Medienagenda. Doch wie sehr der damalige Umgang der Presse mit dem Flugzeugunglück noch immer Journalisten, ob als Berichterstatter direkt betroffen oder nur als Medienkonsumenten, beschäftigt und auch spaltet, wurde auf dem Bayerischen Journalistentag in Augsburg deutlich.

Kurzfristig hatte der BJV zu einem Impulsgespräch geladen, um über das Thema „Katastrophe als Event“ zu diskutieren und speziell nachzufragen, ob der Deutsche Presserat überhaupt noch das richtige Instrument ist, um den Auswüchsen in der Katastrophenberichterstattung Herr zu werden.

Fakt ist, dass sich beim Deutschen Presserat, der über die Einhaltung des Pressekodex wacht, noch nie so viele Menschen über die Berichterstattung von einem Einzelgeschehen beschwert haben wie nach dem Germanwings-Absturz. Rund 450 Beschwerden seien eingegangen, informierte Harald Stocker. Der Luftfahrtexperte aus München und zugleich Vize-Vorsitzende des Bezirksverbandes München-Oberbayern moderierte nicht nur die Veranstaltung in Augsburg. Stocker erinnerte in seiner Einleitung auch daran, dass es in den vergangenen Jahrzehnten nur fünf vergleichbare Unglücke infolge eines Selbstmords gab.

„Übers Ziel hinausgeschossen“
Der DJV hatte in jenen Märztagen die berichtenden Kolleginnen und Kollegen zur Rücksichtnahme für die Angehörigen der verunglückten Passagiere von Flug 4U9525 aufgefordert. Und der BJV-Vorsitzende Michael Busch hatte sein Entsetzen über die Art und Weise, wie berichtet wurde, in einem viel beachteten Facebook-Post zum Ausdruck gebracht: Er schäme sich, Journalist zu sein, schrieb Busch und bekam dafür im Netz viel Applaus. Auch jetzt in Augsburg. So lobte aus dem Plenum heraus Wolfgang Soergel, Ehrenmitglied des BJV, Buschs Reaktion im damaligen publizistischen Ausnahmezustand als „schnell, aber angemessen“. Eine Meinung, die Ursula Ernst auf dem Podium zuvor nicht geteilt hatte.

Die Redakteurin der Augsburger Allgemeinen Zeitung, die bis zum Vorjahr Sprecherin des Deutschen Presserats war, befand, Michael Busch sei mit seinem Kommentar „übers Ziel hinausgeschossen“. Jetzt, wo sich die Aufregung gelegt habe, könne man „nüchterner“ auf die Sache schauen.

Natürlich, sagte Ursula Ernst, gehe auch ihr die Frage durch den Kopf, ob die Medien über die Germanwings-Katastrophe ordentlich berichtet hätten. Eine Antwort könne sie allerdings nicht geben. Der Presserat werde diesen Fall turnusgemäß auf seiner nächsten Sitzung verhandeln. „Wir warten gespannt auf das, was im Juni passiert.“ Aus ihrer eigenen Erfahrung beim Presserat, für den sie immerhin 20 Jahre tätig war, wisse sie, wie kontrovers dort diskutiert werde. Ursula Ernst verwies auf Fälle in der Vergangenheit, in denen der Presserat mit ähnlich vielen Beschwerden überflutet worden sei, infolge des Amoklaufs in Winnenden zum Beispiel oder des Abschusses von MH17.

Wie der Presserat reagiert
Der Presserat greife immer dann zu Sanktionen, wenn die Opfer unangemessen ins Zentrum der Berichterstattung gerückt würden, erklärte Ernst. Von Facebook-Seiten geklaute Fotos von Opfern zu instrumentalisieren, um dem Leid ein Gesicht zu geben und die Berichterstattung zu emotionalisieren, sei unangemessen und sensationell und werde vom Presserat gerügt.

Gleichwohl sei es per se nicht verboten, Leichen abzubilden. So sei sich das Gremium nach längerer Diskussion einig gewesen, dass die Abbildung einer verkohlten Hand auf dem Trümmerfeld von MH17 nicht zu beanstanden sei, weil sie „ein sehr pointiertes Detail dieser Katastrophe“ darstelle. Es sei sicher eine „Geschmacksfrage“, ob man Videos vom Trümmerfeld zeigen müsse. Doch wichtiges Bewertungskriterium, ob ein Bericht Pressestandards missachtet habe oder nicht, sei, ob den Toten ihre Würde belassen werde.

Namensnennung des Copiloten
Kontrovers diskutiert wurde auf dem Augsburger Podium auch die Frage, ob es in Ordnung war, dass einige Medien den Namen des Copiloten der Germanwings-Maschine publik gemacht haben und das sogar schon, bevor die näheren Umstände überhaupt geklärt waren. Sie sei schockiert gewesen, wandte eine Zuhörerin ein, wie schnell der Schuldige genannt worden sei, es gelte doch eigentlich die Unschuldsvermutung, weshalb Namen in einem laufenden Verfahren doch abgekürzt werden müssten.

Heftige Kritik war zu erwarten
Sascha Borowski, Leiter der Online-Redaktion der Augsburger Allgemeinen und Ursula Ernsts Mit-Diskutant, sah sich in der Pflicht, das Handeln seiner Zeitung zu rechtfertigen. Die Augsburger hatten schnell entschieden, den Namen des Copiloten in voller Länge zu nennen – „im Bewusstsein, dass Kritik kommt“, wie es Borowski ausdrückte.

Die „Dimension des Ereignisses“ und die international publizierte Aussage eines Staatsanwalts habe seine Redaktion zu diesem Schritt bewogen. „Wir haben eine redaktionell-journalistische Entscheidung getroffen, und dazu stehen wir auch“, sagte Borowski. Eine Rolle habe auch gespielt, dass der Copilot des Airbus Wurzeln in Augsburg hatte. Das zu erforschen, sei journalistische Aufgabe, doch für diese Recherchen habe die Augsburger Allgemeine Borowski zufolge ein „Medien-Bashing“ erlebt wie noch nie. Es seien zwar durchaus ernsthafte und ernst zu nehmende Kritiken darunter gewesen, nur gingen die unter „bei so vielen, die einfach draufhauen, weil es alle gerade tun“.

Obgleich soziale Netzwerke wie Facebook den Copiloten schnell und klar benannt hatten, habe das die Entscheidung seiner Redaktion nicht beeinflusst, sagte Borowski noch auf Nachfrage von Moderator Stocker. „Journalisten dürfen darauf keine Rücksicht nehmen.“

Gleichwohl müssten Journalisten „die fünfte Gewalt“, den „mündigen Medienkonsumenten“ durchaus ernst nehmen. Aus Sicht des Presserats könne man allerdings gar nicht greifen, was alles in den sozialen Medien publiziert werde, wandte Ursula Ernst ein. „Der Presserat versteht sich auf journalistische Inhalte. Was auf Facebook und Twitter passiert, ist aber nicht Journalismus.“

Lob für den Presserat
Dass der Presserat für viele Journalisten nach wie vor eine wichtige Instanz ist, die Orientierung gibt für richtiges Handeln, machte der Fernsehjournalist Frank Stach deutlich, der dem DJV-Landesverband in Nordrhein-Westfalen vorsitzt. „In den ersten Stunden nach einer Katastrophe das Richtige zu machen, ist sehr schwierig. Da werden Fehler gemacht“, sagte Stach. Seine eigene Redaktion beim WDR, die für die ARD aus Haltern berichtet hatte, stecke noch in der Findungsphase. „Der Presserat hilft uns dabei – da will ich einmal danke sagen.“

Zugleich brandmarkte Stach die „Kommerzialisierung von Journalismus“. Journalisten hätten an jener Schule in Haltern, die den Tod von 16 Schülern zu beklagen hatte, 100 Euro für Fotos von den Opfern geboten. Ursula Ernst, Grande Dame des Presserats, pflichtete Stach bei: „Das sind unlautere Recherchemethoden und unserer Zunft nicht würdig.“

Senta Krasser

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