Martin Fehrensen weiß, welche digitalen Orte für die Branche an Bedeutung gewinnen
Foto: Michaela Schneider

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Ohne Handy geht's kaum mehr

6. Mobile Media Day in Würzburg zeigt was Medien mobil machen können

Würzburg, 27.11.2018

100 Mal am Tag schaut der gewöhnliche Handybesitzer heute im Schnitt aufs Smartphone – ob für einen kurzen Chat, um Nachrichten zu lesen oder eine Pizza zu bestellen.

Ein Alltag ohne Handy? Für viele junge Menschen undenkbar. Die mobile Internet-Nutzung hat die Desktop-Nutzung inzwischen überholt. Außer Frage dürfte da stehen, dass auch für Medienunternehmen das Mobile-Thema längst ein existentielles ist.

„Von Mobile First zu Mobile Only“
Zugespitzt formuliert lautete das Motto des inzwischen 6. Mobile Media Day (Hashtag #mmd18) in Würzburg deshalb: „Von Mobile First zu Mobile Only“. Die Münchner Medientage GmbH als Veranstalter in Kooperation mit dem Würzburger Verlagshaus Vogel Communications rechnete heuer wieder mit 800 bis 1000 Besuchern – etwa die Hälfte sind traditionell Studierende medienorientierter Studiengänge.

In Kurzvorträgen ging es den Tag über etwa um mobile Anwendungen, die für Medienmacher an Bedeutung gewinnen, um „Sportberichterstattung 2.0“ oder auch um einen Krieg der Ökosysteme, in dem Privatsphäre auf der Strecke bleibt.

203 Minuten Medienkonsum im Netz
Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), betonte bei der Eröffnung: Es bestehe kein Zweifel, dass das mobile Internet der zentrale Wachstumstreiber der Online-Nutzung sei.

77 Prozent der hiesigen Bevölkerung nutzen inzwischen mobiles Internet, 37 Prozent gehen täglich mobil online. Mediale Internet-Nutzung der 14- bis 29-Jährige laut Studie, überwiegend übers Smartphone: 203 Minuten täglich.

Vom „Internet im Internet“
Den einführenden Vortrag zum Mobile Media Day hielt Martin Fehrensen (@martinfehrensen), Betreiber des Social Media Watchblog, und skizzierte treibende Kräfte hinter der Entwicklung zu „Mobile Only“ inklusive Chancen und Risiken für die Medienbranche.

Was sich durch die Verlagerung der Internet-Nutzung massiv verändert hat: Nutzer surfen auf dem Handy meist nicht mehr durchs freie, offene Internet, sondern greifen auf Apps zu – und damit auf kommerzielle Plattformen. Fehrensen spricht vom „Internet im Internet“.

Passgenaue Angebote schnüren
Heißt: Wer Menschen erreichen will, muss heute Angebote passgenau in jene Kanäle bringen, die mehrheitlich genutzt werden. Der Facebook News Feed sei nur noch bedingt jener Kanal, den man als Kreativ- und Medienschaffender im Blick haben sollte.

Welche digitalen Orte gewinnen für die Branche an Bedeutung? Fehrensen nennt unter anderem Instagram, Messenger-Dienste, Instagram TV, Stories („eine aufgeblähte Power-Point-Präsentation im vertikalen Format“, die noch nicht „so krass kommerzialisiert“ sei) oder auch Facebook Gruppen, die – zum Teil geschlossen – mehr Privatsphäre suggerierten, auch wenn die Realität eine andere sei.

Snapchat Discover werde in Deutschland noch etwas stiefmütterlich behandelt. Das Attraktive für die Nutzer: Nachrichten, Serien und Co. werden eigens für Snapchat produziert. Und absolut im Kommen und von westlichen Social-Media-Anbietern derzeit sehr genau beobachtet: die chinesische App TikTok.

Datenskandale, Mobbing, Krieg und Ausbeutung
Doch keine Chance ohne Risiko – Fehrensen verwies auf Facebooks Datenskandale, Mobbing auf Kanälen wie Instagram, WhatsApp oder Facebook, auf algorithmische Empfehlungen, die unterm Strich zur Radikalisierung führen können und auf Facebooks „Krieg“ gegen andere Medienunternehmen und Versuche, kritische Stimmen gegen das Netzwerk zu diskreditieren.

Social-Media-Botschaften könnten Leid und Vertreibung katalysieren, wie sich etwa am Beispiel der Rohingya in Myanmar zeigte. Und Fehrensen regte an, über die Rohstoffgewinnung für Smartphones nachzudenken („Vergessen Sie nicht, auf wessen Rücken sich unser Wohlstand gründet.“).

Google als „größter Datensammler der Welt“
Eine weitere zentrale Herausforderung: „Privatsphäre im Internet existiert nicht mehr“, wie Marc Al-Hames (@MarcAlHames), Geschäftsführer der Cliqz GmbH, in seinem Vortrag „Ein Insider-Einblick: Wie Startups, App-Entwickler und Medien im Krieg der Ökosysteme zwischen die Fronten geraten“ erklärte.

Ernüchternde Information: Google als „der größte Datensammler der Welt“ sehe 78 von 100 Netzaktivitäten – und zwar nicht von Menschen, die Google nutzten, sondern von jenen, die es bewusst nicht nutzten. Nicht viel anders sieht es bei Facebook aus.

Al-Hames sprach auch von einer „ernsten Gefahr für Demokratie und Werte“, weil Algorithmen im Netz nicht objektiv seien. „Niemand nimmt wahr, wenn Facebook Eure Meinung verschiebt, weil nur Ihr dies seht“, veranschaulichte der Cliqz-Geschäftsführer. Cliqz stellte er als Suchmaschine mit „Privatsphäre by Design“ vor. Die Cliqz GmbH ist übrigens eine Mehrheitsbeteiligung von Hubert Burda Media.

Startup will Politik digital demokratisieren
Apropos Demokratie – unter den Startups, die sich beim „Gründer-Pitch“ auf der Hauptbühne präsentierten dabei: die Macher der App democy. Bürger können hier Fragen zu politischen Themen beantworten und einsenden.

Indem das Team hinter der kleinen Anwendung Mehrheiten sucht und dann Presse und Politik auf Tendenzen aufmerksam macht, will es Bürgern zu mehr politischer Partizipation verhelfen. Oder mit Mitgründer Julius Klingenmaiers Worten: „Wir wollen der Politik helfen durch digitale Bürgerbeteiligung.“

Welt der Sportberichterstattung immer komplexer
Abstecher in die Sportberichterstattung 2.0. Nicola Kiermeier (@nicihood), Social-Media-Redakteurin bei sport1, erzählte von einem immer zersplitterteren Markt, von Clubs, die selbst zu Publizisten werden und klassische Medien für unnötig halten. Die Frage sei da: Welchen Mehrwert können Medienhäuser noch bieten?

Kiermeier plädierte für einfache Lösungen für die Nutzer und sprach von „einer Art digitalen Fernbedienungen in einer immer komplexeren Welt der Sportberichterstattung“. Zudem empfahl sie, clevere Allianzen zu schließen, zumal sich mittlerweile auch die Internet-Giganten Facebook, Amazon und Netflix in Sportrechte einkauften.

Michaela Schneider

Schlagworte:

Mobile | Mediennutzung

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