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BJVreport

„Das Sinnvollste wäre es, das Ganze zu lassen!“

Interview mit Professor Ulrich Preis, Universität Köln, zum geplanten Tarifeinheitsgesetz

Köln, München, 10.12.2014

Professor Ulrich Preis beschäftigt sich seit Beginn der 1990-er Jahre intensiv mit Fragen des Arbeitsvertragsrechts. Preis ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht an der Universität zu Köln.

Herr Professor Preis, das Bundeskabinett hat ein Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit auf den Weg gebracht. Im Betrieb soll künftig möglichst nur noch ein Tarifvertrag gelten. Wenn Sie den Entwurf benoten müssten, welche Schulnote wäre es?
Ein Ungenügend. Der Entwurf ist zur Erreichung des beabsichtigten Ziels völlig ungeeignet. Und falls das Gesetz kommen sollte, wäre es verfassungswidrig. Hier droht ein Gesetz verabschiedet zu werden, das unabsehbare Folgen für die Koalitionsfreiheit hat.

Inwiefern?
Ganz unverhohlen soll der Entwurf den Sparten- und Berufsgewerkschaften die Zähne ziehen, die Tarifautonomie kleinerer Gewerkschaften soll geschwächt werden. Es ist also eigentlich ein Tarifautonomie-Schwächungsgesetz. Meine Prognose lautet: Dieses Vorhaben ist praktisch und rechtlich zum Scheitern verurteilt.

Im Betrieb soll künftig nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat. Was bedeutet das in der Praxis?
Der Entwurf sagt im ersten Satz, dass es Tarifpluralität gibt, die man auflösen will. Ich weiß aber zu Beginn noch gar nicht, ob die einzelnen Tarifverträge tatsächlich kollidieren. Das bedeutet: Alle Gewerkschaften können bis zu einem Tarifabschluss verhandeln und auch streiken. Abgerechnet wird erst zum Schluss. Bis dahin wird es einen verstärkten Wettbewerb der Gewerkschaften geben, da jede möglichst viele Mitglieder gewinnen will. Das Gesetz verhindert also keinen Streik, sondern wirkt eher wie ein Brandbeschleuniger.

Der Betrieb soll Bezugsgröße für die Ermittlung der Mehrheit sein. Ist das sinnvoll?

Nein, dafür fehlt es an jeder Plausibilität. Kein Begriff des Arbeitsrechts ist so frei gestaltbar wie der Betriebsbegriff. Ein Betrieb ist dort, wo ein leitender Angestellter die Personalhoheit über Einstellungen, Entlassungen oder mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten hat. Das kann sich von heute auf morgen ändern. Der Arbeitgeber kann also seine Betriebszuschnitte kraft Organisationshoheit so formen, wie er will. Oder sogar gemeinsam mit der Mehrheitsgewerkschaft die Wahlbezirke so zuschneiden, wie es passt. Eine Regelung, die der Manipulation Tür und Tor öffnet.

Wie soll die Mehrheit im Betrieb überhaupt ermittelt werden?
Diese Aufgabe weist der Gesetzgeber den Arbeitsgerichten zu, die nur auf Antrag einer Partei der kollidierenden Tarifverträge tätig werden. Was aber geschieht eigentlich, wenn der Antrag nicht gestellt wird? Dann muss es zwangsläufig bei der Tarifpluralität bleiben.

Auch die technischen Fragen sind komplex. Der Königsweg zur gerichtsfesten Feststellung der Mehrheit soll die Erfassung durch einen Notar sein. Die Gewerkschaften legen dazu Mitgliederlisten vor, der Notar zählt und stellt die Mehrheit fest. Er muss sich Mitgliederausweise, Beitragsnachweise und den Arbeitsvertrag oder andere Nachweise über die Betriebszugehörigkeit vorlegen lassen – eine aufwändige Sache. Mitarbeiter werden bekanntlich von Unternehmen eingestellt und können relativ leicht von Betrieb zu Betrieb versetzt werden. Das alles ist hoch anfällig gegen Manipulationen.

Sehen Sie eine Chance, dass das Gesetz doch noch gekippt wird?
Das Sinnvollste wäre es, das Ganze zu lassen. Aber das Gesetz wird wohl zur Gesichtswahrung aller Beteiligten verabschiedet werden. Die Kanzlerin will es, die Arbeitsministerin auch, selbst die SPD. Und der absolute Obersatz mit quasi neutestamentarischer Kraft lautet: Das steht so im Koalitionsvertrag und das wird auch so gemacht.

Maria Goblirsch

Das Interview im Volltext lesen Sie im BJVreport 6/2014, der in Kürze erscheint.  

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